Die Brandkatastrophe vom 24. März 1772

Am Dienstag, dem 24. März 1772 brach in der Syrnau um etwa 15.00 Uhr ein Brand aus, der sich rasend schnell über die Vorstadt und bald auch über die ganze Stadt ausbreitete. Das Feuer wütete bis in die Nacht hinein.
Die Brandursache scheint nie eindeutig geklärt worden zu sein. Sicher ist nur, dass das Feuer im Haus Syrnau 13 (heute: Hauensteinerstraße 10) ausbrach, einem kleinen, strohgedeckten Gebäude, das der Herrschaft Schickenhof unterstand, damals dem Weber Joseph Mayr gehörte und von der Taglöhnerfamilie Mathias und Catharina Scheuchenast bewohnt wurde. Die Nachbarn sagten später aus, Catharina Scheuchenast habe gemeinsam mit ihrer minderjährigen Tochter am Nachmittag des 24. März für ihren Mann, der zu der Zeit nicht zu Hause war, Semmelschnitten oder Krapfen in Öl herausgebacken, dabei sei das Feuer „ausgekommen“. Frau Scheuhenast, die unmittelbar nach Ausbruch der Katastrophe flüchtete, sich versteckte, später aber wieder zurückkehrte, bestritt im Verhör diesen Vorwurf, konnte aber anscheinend auch keine plausible Erklärung für die Brandursache geben.
Vor diesem 24. März hatte es tagelang nicht geregnet. Die Stroh- und Schindeldächer der Häuser waren daher staubtrocken, außerdem blies an diesem Tag fast ununterbrochen ein starker Süd- oder Südwestwind, der das Feuer und die Funken in Richtung Stadt trieb. Obwohl die Menschen mit allen Kräften gegen die Flammen ankämpften und ihr Hab und Gut zu retten versuchten, waren all diese Anstrengungen letztlich weitgehend vergeblich. Das Feuer breitete sich – begünstigt durch die Bauweise der Häuser, vor allem durch die Dachdeckung (Ziegeldächer waren damals noch eine Seltenheit) in Windeseile aus. Am Morgen des 25. März, als der Brand weitgehend sein Ende gefunden hatte, wurde das Ausmaß des Schadens sichtbar: Nahezu alle Häuser von Zwettl waren zerstört oder zumindest schwer beschädigt worden. In der Syrnau blieben lediglich einige Gebäude in der heutigen Wasserleitungsstraße und in der Feldgasse verschont, sie lagen wohl etwas abseits und waren vom Funkenflug nicht unmittelbar betroffen gewesen. In der Stadt selbst blieben nur die Pfarrkirche, die Nagelschmiede (Landstraße 4) und das ihr gegenüberliegende Haus (Landstraße 3) sowie das Siechenhaus, die Martinskirche, das Bürgerspital und der Wurmhof (heute: Schulgasse 19) praktisch unbeschädigt. Die beiden Häuser an der unteren Landstraße (Nr. 3 und 4) lagen unmittelbar an der Stadtmauer, wahrscheinlich innerhalb der Barbakane des Kremser Tores, was sie wohl vor dem Funkenflug geschützt hatte. Auch die Koppen- und die Ledererzeil wurden vom Feuer heimgesucht. Hier blieben nur einige Häuser nahe des Statzenbergs, die Haarstube und die Hammerschmiede unversehrt, ebenso wie die Gebäude vor dem Oberhofer Tor und das Einzelhaus vor dem Oberen Tor. Insgesamt blieben nur 25 Häuser in der Stadt sowie in den Vorstädten Syrnau, Koppen- und Ledererzeil vom Feuer verschont.

Brandkatastrophe vom 24. März 1772

Die Pfarrkirche war – ebenso wie die Martinskirche und das Bürgerspital – zu dieser Zeit bereits mit Ziegeln gedeckt. Der Turm der Stadtpfarrkirche besaß aber noch das alte Schindeldach. Es ist nur dem unermüdlichen Einsatz des Mesners Michael Fuchs zu danken, dass die Pfarrkirche, die sich ja mitten im Inferno befand, nicht auch zerstört wurde. Fuchs kämpfte nämlich während des Nachmittags und die gesamten Nacht über im Dachboden des Kirchturms allein gegen das Feuer. Mit Weihwasser löschte er jeden Funken und jedes entstehende Glutnest und rettete so „seine“ Kirche vor dem sicheren Untergang. Am Morgen, als das Feuer kaum mehr Nahrung in der Stadt vorfand und die Sonne über einem rauchenden Trümmerhaufen aufging, läutete er die Kirchenglocken. Sein eigenes Haus (Babenbergergasse 3) war ein Raub der Flammen geworden. Für diesen mutigen und selbstlosen Einsatz bewilligte ihm die Patronatsherrschaft Propstei zwei Jahre später eine Belohnung von 30 Gulden.
Insgesamt wurden 220 Häuser beschädigt oder zerstört (159 in der Stadt, 41 in der Syrnau und 20 in der Koppen- und Ledererzeil). Eine Kommission des Zwettler Magistrats schätze den Schaden an den 168 Häusern, die unter Stadtherrschaft standen, zunächst auf 135.919 Gulden. Am 3. April 1772 kam dann auch noch eine Abordnung des Kreisamts aus Krems nach Zwettl, um den Schaden, den die Feuersbrunst hier angerichtet hatte, behördlich zu begutachten und zu bewerten. Ihr gehörten unter anderem der Vize-Kreishauptmann Freiherrn v. Ludwigstorf und der Kreisamtssekretär an. Diese landesfürstliche Kommission schätzte den Schaden an allen 220 betroffenen Gebäuden auf 123.770 Gulden.

Die höchsten Schadenssummen wurden bei folgenden Häusern festgestellt:
Stadt Zwettl:
Nr. 6 (heute: Landstraße 55), Michael Moser (bürgerlicher Bäcker): 1200 Gulden
Nr. 17 (heute. Landstraße 33), Joseph Peikerspöck (bürgerlicher Sattler): 1500 Gulden
Nr. 19 (heute: Landstraße 29), Joseph Weinmayer (bürgerlicher Bierbrauer): 1500 Gulden
Nr. 24 (heute: Landstraße 24), städtisches Brauhaus: 2000 Gulden
Nr. 35 (heute: Landstraße 17), Georg Singer: 1300 Gulden
Nr. 37 (heute: Landstraße 13), Anton Kietreiber (bürgerlicher Lebzelter): 2000 Gulden
Nr. 54 (heute: Kirchengasse 1), Johann Carl Zindl (bürgerlicher Eisenhändler): 2500 Gulden
Nr. 55 (heute: Hauptplatz 12), Christian Stadler (bürgerlicher Lebzelter): 2500 Gulden
Nr. 79 (heute: Hauptplatz 4), das städtische Rathaus: 3000 Gulden
Nr. 140 (heute: Ecke Dreifaltigkeitsplatz 2/Hamerlingstraße 1), Carl Hammerer (bürgerlicher Nadler):1500 Gulden
Nr. 141 (heute: Hauptplatz 1), Franz Prunlechner (bürgerlicher Handelsmann): 3000 Gulden
Nr. 153 (heute: Dreifaltigkeitsplatz 3), Andre Neunteufel (bürgerlicher Schildwirt): 1200 Gulden
Syrnau:
Nr. 1 (heute: Syrnauer Platz 1), Joseph Schießwald (bürgerlicher Müller): 5000 Gulden
Nr. 7 (heute: Syrnauer Straße 25): Sebastian Aigner (schickenhofischer Bierbrauer): 1000 fl
Nr. 34 (heute: Syrnauer Straße 14), Georg Rieder (loschbergischer Färber): 1500 Gulden
Lederer- und Koppenzeil:
Nr. 26 (heute: Gerungser Straße 5), Peter Artberger (bürgerlicher Lederer): 1000 Gulden

Dazu ein Preisvergleich:
1772 kostete in Zwettl ein Pfund (= rund 0,56 kg) Schaffleisch 4, ein Pfund Rindfleisch 5 und ein Pfund Schweinefleisch 6 Kreuzer. Für einen Gulden bekam man damals also 10 Pfund (5,6 kg) Schweinefleisch, 12 Pfund (6,72 kg) Rindfleisch oder 15 Pfund (8,4 kg) Schaffleisch.

Menschenleben hatte man keine zu beklagen. Pfarrvikar Leopold Ertl berichtete allerdings, dass viele Betroffene noch lange unter den Folgen der ausgestandenen Angst und des Schreckens zu leiden hatten. Da die Schadensmeldungen meist nicht ins Detail gehen, kann man nicht feststellen, wie viele Stück Vieh bei dieser Brandkatastrophe umkamen. Nur über die schickenhofischen Häuser in der Syrnau liegt eine etwas ausführliche Schadensliste vor. Hier verendeten in den Häusern Syrnau Nr. 14 (Anton Gruebmüller, heute: Hauensteinerstraße 5) und Nr. 16 (Mathias Reindl, heute: Hauensteinerstraße 1) je vier Rinder.
Wie schlimm die Situation gewesen sein muss, geht aus einem Schreiben der Stadtverwaltung an den landesfürstlichen Wahlkommissär Andre Anton v. Obermillner vom 2. April 1772 hervor: „...Das elend ist nicht zu beschreiben. Viele haben gar keine wohnung mehr und müssen ihr unterkommen unter auswärtigen jurisdiktionen suchen. Es seynd widrum viele leuth, die gar kein obdach bekommen, sondern auf das elendeste unter freyen himmel bleiben und der widrigsten witterung ausgesezt seyn müssen. Gewölbe und zimmer seynd eingangen, nichts ist gebliben als die elende bedeckung, was ihnen am leib gebliben...“
Zu allem Überfluss setzte nach dem Brandunglück eine mehrwöchige Schlechtwetterperiode ein. In Zwettl und Umgebung war kein Material zur Dachdeckung zu bekommen, und der Regen konnte ungehindert in die ihrer Dächer beraubten Häuser eindringen. Die Stadtverwaltung fürchtete wohl zu Recht, dass vor allem in den größeren Gebäuden - wie zum Beispiel im Rathaus oder im städtischen Brau- und Schankhaus - die Gewölbe einstürzen könnten.
Auch der Pfarrhof neben der Kirche war durch den Brand unbewohnbar geworden, und so musste Pfarrvikar Leopold Ertl mit seinen beiden Kaplänen vorübergehend in der Propstei Quartier beziehen. In einem Schreiben an das bischöfliche Consistorium vom 10. April 1772 berichtete er über die verzweifelte Lage in Zwettl und bat um finanzielle Unterstützung für den Wiederaufbau des Pfarrhofs. Wenige Tage nach dem Brandunglück wandte sich die Stadtverwaltung an das Herrscherhaus und an die Regierung mit der Bitte um finanzielle Hilfe. Man hoffte in Zwettl auf rasche und tatkräftige Unterstützung, vor allem wohl auf Bargeld. Solches wurde aber nicht bewilligt. Statt dessen genehmigte Maria Theresia für drei Jahre steuerliche Nachlässe und ähnliche Begünstigungen. Auch gestattete die Herrscherin, dass in allen Erblanden eine Brandsteuersammlung zu Gunsten der schwer geschädigten Stadt Zwettl durchgeführt werden durfte. Diese brachte in Summe 1.670 Gulden 54 1/2 Kreuzer. Dieser Betrag (rund 1,35 % des Gesamtschadens !) wurde in mehreren Tranchen an die Geschädigten ausbezahlt. Nur das Stift Zwettl unter Abt Rainer I. Kollmann half sofort - im Rahmen seiner Möglichkeiten - mit Lebensmitteln, Geld und Baumaterial.
Zum Andenken an dieses Brandunglück wurde der Weg der Markusprozession, die schon vorher regelmäßig am 25. April abgehalten worden war und meist in das Stift Zwettl geführt hatte, neu festgelegt: Die Gläubigen der Pfarre Zwettl zogen nun alljährliche durch die Syrnau, die Koppen- und die Ledererzeil sowie durch die Stadt, über die Landstraße bis zum Oberen Tor, durch die Florianigasse, über den Neuen Markt, die Hamerlingstraße und den Hauptplatz zur Pfarrkirche, wo sie eine Messe feierten. Unter anderem betete man während der Prozession vor dem Syrnauer Kreuz, das an der Abzweigung der Ottenschlager Straße stand, fünf Vaterunser für die Abwendung künftiger Brandunglücke.

F. Moll, August 2004

Literatur:
Hans Hakala, Feuer! in: Hans Hakala/Walter Pongratz, Zwettl-NÖ I. Die Kuenringerstadt (Zwettl 1980) S 564.

Josef Traxler, Geschichte der Stadt. in: Zwettl 1896. Festschrift aus Anlass der Eröffnung der Localbahn Schwarzenau-Zwettl und zur Feier der Jubiläen der Sparcasse und der Volks- und Bürgerschule Zwettl (Zwettl 1896) S 17f.

Trude Kowarsch-Wache, mithin eine feurs gefahr zu besorgen. Frühneuzeitliche Feuer- und Wasserbeschau in Quellen der landesfürstlichen Stadt Zwettl und des landesfürstlichen Marktes Perchtoldsdorf (Diplomarbeit Wien 2005) S 134-138.

Trude Kowarsch-Wache, das liebe feür. Frühneuzeitliche Feuerbeschau in landesfürstlichen Städten und Märkten: Zwettl und Perchtoldsdorf im Vergleich. In: Friedel Moll/Martin Scheutz/Herwig Weigl (Hg.), Leben und Regulieren in einer kleinen Stadt. Drei Beiträge zu Kommunikation, Fürsorge und Brandgefahr im frühneuzeitlichen Zwettl, NÖ (St. Pölten 2007) S 190-193.

Quellen:
Pfarrarchiv Zwettl (PfAZ), Pfarrakten, Kart. 1

PfAZ, Kirchenrechnungen, Kart. 1

PfAZ, Matriken, Sign. 1/5, pag. 120, 150, 188; Sign. 2/3, fol. 397.

Stadtarchiv Zwettl (StAZ), Kart 13, Fasz. „Brandkatastrophe in Zwettl, 1772-1774“.

StAZ, Ratsprotokolle, Sign. 2/15, fol. 531 ff.

StAZ, Missivprotokolle, Sign. 4/7, fol. 229-234, 235v-136v, 240-241,243v-144v, 248f, 255, 256vf, 264-265, 269-270v, 271-272, 311v-312v.

StAZ, Gedenkbuch der Stadt 1752-1846, Sign. 5/3, fol. 17.