Der Streit zwischen Liechtensteinern u. Kuenringer

Leutold I. von Kuenring-Dürnstein (1243-1312) übernahm am 21. Juli 1280 von König Rudolf I. v. Habsburg das Stadt- und Landgericht Zwettl als Pfand. Er war eine der bedeutendsten Persönlichkeiten seiner Familie und ein großer Gönner des Klosters und der Stadt Zwettl. Er hielt sich häufig in der Stadt Zwettl auf, wie aus den hier von ihm gesiegelten Urkunden zu schließen ist. 1295 stiftete er dem hiesigen Bürgerspital eine Mühle.
Da Leutolds erste Ehe mit Agnes von Feldsberg kinderlos war, legte er vertraglich fest, dass die Nachkommen seiner Tante Euphemia von Kuenring-Pottendorf Gericht und Zoll von Zwettl für 300 Mark Silber erwerben sollten, falls er kinderlos sterben würde. Er behielt sich aber bis zu seinem Tod und für allfällige Nachkommen ein Rückkaufsrecht vor. Leutold heiratete in zweiter Ehe die Gräfin Agnes von Asperg. Dieser Ehe entsprossen sechs Kinder.
Nach dem Tode Leutolds, übernahm 1312 Rudolf von Liechtenstein, ein Enkel Euphemias, Stadt und Herrschaft Zwettl. Da die Söhne Leutolds I. zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig waren und Rudolf von Liechtenstein sich auf den Vertrag berufen konnte, der sich tatsächlich ja nur auf die erste (kinderlose) Ehe bezogen hatte, konnte er das Erbe zunächst anscheinend ohne ernsthafte Widerstände antreten.
1325 aber fochten Leutolds Söhne aus zweiter Ehe, Johann I. und Leutold II., gerade erst 23 bzw. 17 Jahre alt, die Übernahme des Erbes durch den Liechtensteiner an. Johann I. war kurz zuvor aus bayerischer Gefangenschaft entlassen worden, in die er auf einem Kriegszug an der Seite König Friedrichs des Schönen geraten war. Die beiden Kuenringer sagten Rudolf von Liechtenstein die Fehde an und rückten gegen Zwettl vor. Sie schlugen bei Ratschenhof ihr Lager auf, sammelten ihre Gefolgsleute, schlossen die Stadt ein und hielten sie von Donnerstag nach Ostern bis zum zweiten Sonntag darauf belagert. In Zwettl lag nur eine schwache liechtensteinische Besatzung, und Rudolf von Liechtenstein selbst weilte zu dieser Zeit in der Steiermark. An lang anhaltenden Widerstand oder einen Entsatz der Stadt war also nicht zu denken. In dieser Situation schlug Abt Gregor, ein gebürtiger Zwettler, vor, die Feindseligkeiten einzustellen und den Landesherrn um eine Entscheidung in dem Streit zu ersuchen. Die Stadt Zwettl öffnete ihre Tore und unterwarf sich bis zum Schiedsspruch des Königs den Kuenringern.
König Friedrich der Schöne entschied, dass das Landgericht (außerhalb der Stadt) den Kuenringern, jenes in der Stadt dagegen den Liechtensteinern verbleiben solle. Nach dem Tod Leutolds II. von Kuenring fiel 1348 das Landgericht mit Zoll, Maut, Fischweid usw. an den Landesfürsten zurück, der es bald an Elisabeth, die Witwe Rudolfs I. von Liechtenstein verpfändete. Von da an wurde es durch Jahrhunderte immer wieder verpachtet, manchmal an die Stadt selbst, meist aber an vermögende Adelige. Erst 1620 gelang es den Zwettler Bürgern das Landgericht und die landesfürstlichen Ämter zu kaufen.
Die Stadt selbst ging 1419 durch Kauf von den Liechtensteinern an den Landesherrn. Damit wurde Zwettl als landesfürstliche Stadt eine der „mitleidenden Städte“ Österreichs.

 

Literatur:
Johann von Frast, Topographie des Erzherzogthums Oesterreich. Das Decanat Groß-Gerungs und das Stift Zwettl (Wien 1838) S 46 f.
Gottfried Edmund Friess, Die Herren von Kuenring (1874) S 150-152.
Walter Pongratz, Geschichte der Stadt bis 1648. In: Hans Hakala/Walter Pongratz, Zwettl-NÖ I. Die Kuenringerstadt (1980) S 52 f.
Folker Reichert, Zur Geschichte der inneren Struktur der Kuenringerstädte. In: Andreas Kusternig/Max Weltin, Kuenringer-Forschungen = Jb. LKNÖ NF 46/47 (1981) S 151.