6. Jänner 1898: Eröffnung des Zwettler E-Werkes

1892, als die Nutzung der elektrischen Energie auf der ganzen Welt noch in ihren Anfängen steckte, fassten drei Zwettler Geschäftsleute den kühnen Entschluss, in dieser Stadt eine „elektrische Kraft- und Licht-Centrale“ (= ein Kraftwerk) zu errichten. Es waren das der 40-jährige Müllermeister Alois Wichtl (Kuenringerstraße 3), der Gastwirt Karl Löscher (Ottenschlager Straße 2), damals gerade 38 Jahre alt und der 43-jährige Tischlermeister Friedrich Göschl (Kamptalstraße 22).
Sie zogen den Wiener Elektrotechniker Franz Kröttlinger zu Rate und kamen zu der Überzeugung, im Kamptal, nahe der Gschwendtmühle, den idealen Standort für ihr Kraftwerk gefunden zu haben. Hier schienen dem Techniker sowohl Gefälle als auch Wasserstand und Wassermenge für das Vorhaben geeignet zu sein. Am Kamp, oberhalb von Zwettl, sollten daher eine Wehranlage mit Werkskanal und ein Krafthaus entstehen, in dem zwei Turbinen mit insgesamt 100 PS so viel Strom erzeugten, dass damit in Zwettl mindestens 950 Glühbirnen mit einer Lichtstärke von je 16 Normalkerzen betrieben werden konnten.
[Die „Normalkerze“ war eine alte Maßeinheit für die Lichtstärke = das Licht einer Paraffinkerze von 20 mm Durchmesser, deren Docht so beschnitten ist, dass die Flamme 50 mm hoch brennt.]
Zunächst war geplant, hochgespannten Gleichstrom zu erzeugen, der über eine rund 2,8 km lange Freileitung nach Zwettl zu einem Transformator gebracht werden sollte. Die Kosten für alle Vorarbeiten (auch Grundstücke und Nutzungsrechte wurden bereits im April 1892 erworben) trugen Wichtl, Göschl und Löscher zu gleichen Teilen aus eigener Tasche. Für den Nachmittag des 4. September 1892 luden die drei Kraftwerkspioniere dann die Zwettler Bürger zu einer Versammlung in das Kaffeehaus der Leopoldine Heiderer (heute: Landstraße 1, „Cafe Süd“) ein. Etwa 80 Personen kamen zu dieser Besprechung, die als Startschuss für die Gründung der Zwettler Elektricitäts-Genossenschaft (ZEG) angesehen werden kann.

Gründung der ZEG
Umfangreiche Vorbereitungsarbeiten und Erhebungen über den Strombedarf waren nötig. Die örtliche Buchdruckerei Otto Neugebauer (Schulgasse 20) stellte die dafür erforderlichen Formulare und Drucksorten her. Noch im November 1892 beschloss die Gemeindeverwaltung von Zwettl, die Straßenbeleuchtung in Zukunft durch die zu gründende Stromgesellschaft besorgen zu lassen. Am 29. Mai 1894 wurde die Zwettler Eletricitäts-Genossenschaft mit beschränkter Haftung dann tatsächlich gegründet. Zum Obmann wählte man Alois Wichtl.

Alois Wichtl (1852-1896)
StAZ, Sign. BA 02/III/29

Alois Wichtl (1852-1896)
StAZ, Sign. BA 02/III/29

Die 134 Genossenschaftsmitglieder erwarben Geschäftsanteile von je 50 Gulden. [Ein Gulden entsprach damals rund einem Wert von 9,4 €.] Auch die Stadtgemeinde kaufte nach und nach Anteile in beträchtlicher Höhe.
Trotz dieser positiven Entwicklung waren die Vorteile der elektrischen Energie aber noch keineswegs allen Zeitgenossen klar. So stellte zum Beispiel die Zwettler Zeitung in ihrer Ausgabe vom 15. Februar 1896 Preisvergleiche zwischen elektrischem Licht, Petroleumlampe und Gas-Glühlicht an. Das Blatt kam zu dem Schluss, dass bei gleichwertigen Lichtquellen mit einer Lichtstärke von jeweils 48 Normalkerzen eindeutig dem Gas-Glühlicht der Vorzug zu geben sei. Das elektrische Licht schnitt mit geschätzten Kosten in der Höhe von 93 Gulden pro Zimmer und Jahr eindeutig am schlechtesten ab.
Mitten in den Vorbereitungsarbeiten zum Kraftwerksbau starb Obmann Alois Wichtl am 20. August 1896 in seinem 44. Lebensjahr während eines Fahrradausflugs nach Horn in Loibenreith (heute: Truppenübungsplatz) nach einem Schlaganfall. Zu seinem Nachfolger wurde der Brauereibesitzer Karl Schwarz gewählt.

Karl Schwarz (1865-1930)
Foto: Lux, Zwettl
StAZ, Sign. BA 02/III/52

Karl Schwarz (1865-1930)
Foto: Lux, Zwettl
StAZ, Sign. BA 02/III/52

Vom 6. bis 8. Dezember 1896 veranstaltete die ZEG im Saal des Hotels der Betty Loidl (Hauptplatz 7, heute: Volksbank) eine „elektrische Ausstellung“, bei der verschiedene Beleuchtungskörper und elektrisch betriebene Maschinen (Sägen, Lötkolben, Nähmaschinen, Ventilatoren, Zigarrenanzünder ... ) besichtigt werden konnten. Mitglieder der Genossenschaft hatten freien Eintritt, Nichtmitglieder mussten 10 Kreuzer bezahlen.

Ausstellungseinladung 6., 7. und 8. Dezember 1896

Das erste Dreiphasen-Wechselstromkraftwerk der Monarchie
Am 25. März 1897 war es dann endlich so weit: Bezirkshauptmann Statthalterei-Sekretär Franz Breitfelder nahm unter zahlreicher Beteiligung der Bevölkerung den ersten Spatenstich zum Kraftwerksbau im Kamptal vor und bereits am 6. Jänner 1898 konnte man feierlich den Schlussstein legen. Der Bau hatte 118.609 Gulden gekostet.

25. März 1897, Spatenstich zum Bau des E-Werks
Bildmitte (mit Spaten): Bezirkshauptmann Franz Breitfelder
Foto aus: Josef Pexider, 60 Jahre ZEG

25. März 1897, Spatenstich zum Bau des E-Werks
Bildmitte (mit Spaten): Bezirkshauptmann Franz Breitfelder
Foto aus: Josef Pexider, 60 Jahre ZEG

Die technische Ausrüstung des E-Werks wurde letztlich aber grundlegend anders ausgeführt als ursprünglich geplant. So war man beispielsweise vom Vorhaben abgekommen, Gleichstrom zu erzeugen. Nun betrieb eine Girard-Turbine einen Drehstrom Generator. Damit war Zwettl der erste Ort in der gesamten Monarchie, der diese neue Technologie (dreiphasiger Wechselstrom) in einem Kraftwerk anwendete.

Das Kraftwerk, um 1900
StAZ, Sign. BA 03/12/43

Das Kraftwerk, um 1900
StAZ, Sign. BA 03/12/43

Die Stromkunden mussten damals noch nicht für die tatsächlich verbrauchte elektrische Energie bezahlen. Die Höhe der Stromrechnung richtete sich vielmehr nach den beim Konsumenten vorhandenen elektrischen Geräten. Für eine Glühlampe mit einer Stärke von 5 Normalkerzen und einer Brenndauer von mehr als 1000 Stunden zahlte der Stromabnehmer zum Beispiel 5 Gulden pro Jahr.
Täglich zwischen 11 und 12 Uhr und an Sonn- und hohen Feiertagen von 12 Uhr bis zum Eintritt der Dämmerung wurde kein Strom produziert. Glühbirnen durften nur bei der Genossenschaft gekauft werden, sie mussten mit deren Stempel versehen sein, es war ausdrücklich verboten, firmenfremde Beleuchtungskörper zu verwenden. Bügeleisen wurden in den ersten Jahren des Bestehens der ZEG nur an jeweils vier Haushalte gemeinsam verkauft. Wer den elektrischen Strom mutwillig vergeudete, den konnte die Genossenschaft vom Strombezug ausschließen.
Noch im Jänner 1898 erhielt Zwettl eine elektrische Straßenbeleuchtung, und der Volksschuldirektor und Heimatforscher Josef Traxler notierte: „Unsere Plätze, Straßen und Gassen werden jetzt von 6 Bogenlampen á 800 und 100 Glühlampen á 25 Normalkerzen-Lichtstärke erhellt. Auch Oberhof und Koppenzeil haben sich dem Fortschritte nicht verschlossen und beleuchten ihre Straßen mit 11 Glühlampen, welche nicht mehr vor dem Vollmonde sich schämen und auslöschen, wie ehedem die Petroleumlampen.“ [Josef Traxler, Stadt Zwettl und nächste Umgebung (Zwettl 1906) S 193.]
Zu einer Zeit, als in der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien noch die Gaslaternanzünder durch die Straßen wanderten, hatte also Zwettl schon eine elektrische Straßenbeleuchtung. Die erste elektrische Straßenbeleuchtung in der Monarchie gab es übrigens 1886 in Scheibbs. Das erste österreichische Wechselstromkraftwerk (Zweiphasen-Wechselstrom) wurde 1891 in Weiz in der Steiermark eröffnet.

Elektrifizierung von Zwettl aus
1900 versorgte die ZEG nicht nur die Stadt Zwettl mit elektrischem Strom, auch das Dorf Moidrams war bereits mit einer Überlandleitungen an das Kraftwerk im Kamptal angeschlossen. Bald konnte der Generator den Ansprüchen nicht mehr genügen. Die Genossenschaft kaufte einen zweiten Generator und setzte mit einem so genannten Lokomobil überdies bereits kalorische Energie ein, um auch bei niedrigem Wasserstand die Versorgung aufrecht erhalten zu können.
1903 wurde der Werkskanal betoniert. 1905 versorgte die ZEG in der Stadt Zwettl 42 Elektromotoren mit insgesamt 54 PS, 13 elektrische Bügeleisen, 1702 Glühlampen mit einer Leistung von 18.277 Normalkerzen und 6 Bogenlampen von 5.400 Normalkerzen Leistung.

Am Werkskanal, StAZ, Sign. BA 03/12/45-2

Am Werkskanal
StAZ, Sign. BA 03/12/45-2

1926 wurden Stromzähler angeschafft und in jedem Haus montiert. Damit hatte die Pauschalierung ein Ende, und die Kunden mussten für ihren tatsächlichen Stromverbrauch bezahlen. Auch beschloss man, das Haus Landstraße 41 (heute Fa. Mengl) anzukaufen, um hier die Geschäftsleitung und eine Kanzlei unterzubringen.
In der Zwischenkriegszeit war die ZEG eines der führenden Unternehmen bei der Elektrifizierung des Waldviertels. 1930 begann die Genossenschaft mit der Stromlieferung nach Gmünd, um 112.000 Schilling Baukosten entstand eine Leitung von Zwettl nach Ottenschlag. Gemeinsam mit den Hornern errichtete man eine Verbundleitung Zwettl-Döllersheim-Franzen-Tiefenbach-Horn, wodurch viele nahe gelegene Orte einen Stromanschluss erhielten. 1932 war auch Rastenfeld an das Stromnetz der ZEG angeschlossen worden.
Direkt zum Stromversorgungsbereich der ZEG gehörte ein Gebiet, das im Süden bis Ottenschlag, im Westen bis Dietharts, im Norden bis Hollenstein und Wolfenstein und im Osten bis Franzen reichte.

Versorgungsbereich der ZEG

Das Stift Zwettl versorgte sich übrigens lange Zeit selbst mit elektrischer Energie. Bereits 1892 war am Mühlbach im Wirtschaftshof des Klosters ein Gleichstromgenerator in Betrieb gegangen. Dieses Kleinkraftwerk wurde in den folgenden Jahren mehrmals umgebaut und modernisiert. Ab 1953 versorgte außerdem das Kraftwerk in der Neumühle den Ort und das Kloster mit Strom.

Der Kampf um die Selbstständigkeit und das Ende des Unternehmens
Durch die Anlage des Truppenübungsplatzes Döllersheim (heute Allentsteig) verlor die ZEG 1939 zahlreiche Stromkunden. Die Leitungen über den Truppenübungsplatz wurden abgetragen und außerhalb desselben eine neue Verbindung nach Allentsteig errichtet. Auch während des 2. Weltkriegs konnte die ZEG ihre Selbstständigkeit bewahren, obwohl die Direktion der Gauwerke Niederdonau AG ernsthafte Bemühungen unternahm, die Zwettler Gesellschaft in das landesweite Unternehmen einzugliedern. Trotz der oft schwierigen und im Jahr 1945 chaotischen Bedingungen konnte die ZEG in all den Jahren die Stromversorgung ununterbrochen aufrecht erhalten.

Franz Lichtenwallner, Foto: Lux, Zwettl StAZ,Sign. BA 02/III/31

Franz Lichtenwallner
Foto: Lux, Zwettl StAZ,
Sign. BA 02/III/31

Josef Pexider, Foto: Lux, Zwettl StAZ,Sign. BA 02/I/3

Josef Pexider
Foto: Lux, Zwettl StAZ,
Sign. BA 02/I/3

Am 5. Mai 1946 wurde der Kaufmann Franz Lichtenwallner zum Obmann der ZEG und der Hauptschuldirektor Josef Pexider zu dessen Stellvertreter gewählt. Durch ihren unermüdlichen Einsatz und geschicktes Taktieren konnten sie während der schwierigen Nachkriegsjahre die Eigenständigkeit und Funktionstüchtigkeit des Unternehmens bewahren. Zwischen 1946 und 1955 wurden 44 Orte neu an das Stromnetz der ZEG angeschlossen, und die Gesellschaft brachte es auf einen Mitarbeiterstand von 34 Personen (davon 21 Monteure). 1954 begann in der Stadt Zwettl mit der Verlegung von Erdkabel die Umstellung von 110 auf 220/380 Volt.

Kabelverlegung 1954, Ecke Landstraße-Bahnhofstraße;links im Bild: Obmann Franz Lichtenwallner, Foto aus: Josef Pexider, 60 Jahre ZEG

Kabelverlegung 1954, Ecke Landstraße-Bahnhofstraße;
links im Bild: Obmann Franz Lichtenwallner
Foto aus: Josef Pexider, 60 Jahre ZEG

1955: Ein Teil der Belegschaft vor dem Haus Landstraße 41, Foto aus: Josef Pexider, 60 Jahre ZEG

1955: Ein Teil der Belegschaft vor dem Haus Landstraße 41
Foto aus: Josef Pexider, 60 Jahre ZEG

Dennoch zeichnete sich das Ende der Zwettler Elektrizitätsgenossenschaft bereits deutlich ab. Die Nachfrage nach elektrischer Energie war in der Nachkriegszeit so gewaltig gestiegen, dass sie von einer kleinen Gesellschaft mit einem Kraftwerk, das an den Grenzen seiner Leistungsfähigkeit angelangt war, nicht mehr befriedigt werden konnte. Dem gegenüber stand die schier übermächtige und leistungsfähige Landesgesellschaft NEWAG (heute EVN), die mit ihren Kapazitäten den Bedarf der Konsumenten zu decken versprach. Am 9. Juli 1955 fand daher im Saal des Gasthofes Artner im Oberhof die letzte ordentliche Generalversammlung der ZEG statt, bei der die Übergabe des Unternehmens an die NEWAG beschlossen wurde.
Das alte E-Werk im Kamptal, das 1898 von der ZEG eröffnet worden war, blieb bis Oktober 2008 in Betrieb. Die EVN, als Nachfolgegesellschaft, erzeugte dort durchschnittlich 600.000 kWh jährlich, was ungefähr dem Energiebedarf von 160 Haushalten entspricht. Heute betreibt die nunmehrige Besitzerin evn naturkraft etwa 50 Meter weiter flussaufwärts ein neues, weit leistungsfähigeres Kraftwerk.

Literatur:
Josef Leutgeb, Die ZEG – das erste Wechselstromwerk Österreich-Ungarns. In: Hans Hakala/Walter Pongratz, Zwettl-NÖ I. Die Kuenringerstadt (Zwettl 1980) S 379-386.

Friedel Moll, Licht für die Stadt: Über die Anfänge der Stromversorgung in Zwettl. In: Neue Zettler Nachrichten. Mitteilungen des Bürgermeisters der Gemeinde Zwettl 3/2000 (Zwettl 2000) S 13 f.

Josef Pexider, 60 Jahre Zwettler Elektrizitätsgenossenschaft (Zwettl 1955).