Bereits in der Gründungszeit der Siedlung Zwettl, also im 11. oder 12. Jahrhundert, schlug man auf dem heutigen Hauptplatz, der früher Unterer Platz hieß, in den felsigen Untergrund einen Brunnen. Der rund 13 Meter tiefe und mit Bruchsteinen ausgemauerte Brunnenschacht verbirgt sich heute unter dem Straßenbelag, sicher verschlossen durch einen massiven Betondeckel. Aus diesem Brunnen schöpfte einst die Zwettler Bevölkerung ihr Trink- und Nutzwasser. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts stand mitten auf dem Hauptplatz ein monumentaler Auslaufbrunnen, die Endstelle der ältesten, aus dem frühen 17. Jahrhundert stammenden Zwettler Wasserleitung, die das Wasser der Quellen an den Hängen von Moidrams und der Propstei in Holzrohren in die Stadt führte. Bei diesem Brunnenbecken traf sich die Bevölkerung, nicht nur um Wasser zu holen. Der Platz war auch sonst ein wichtiger Kommunikationspunkt. Am traditionellen Montagsmarkt konnte man hier Grundnahrungsmittel und Bedarfsgüter erstehen, und im 19. Jahrhundert war der Zwettler Wochenmarkt, auf dem nun vor allem Getreide und Vieh feilgeboten wurden, Anziehungspunkt für zahllose Menschen aus dem mittleren Waldviertel. Der Platz war weiters Versammlungsort, auf der Schranne vor dem Rathaus verkündete bis ins 19. Jahrhundert der jeweilige Stadtrichter der Öffentlichkeit vom Stadtgericht gefällte Urteile. Hier, auf dem Platz im Stadtzentrum, paradierte das Militär, fanden Platzkonzerte, Feste, Kundgebungen, politische Demonstrationen und Versammlungen statt.
1925 errichtete man mitten auf dem Platz ein Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges, das nach 1945 bedeutend erweitert wurde, um auch die Namen der Toten und Vermissten des zweiten großen Krieges unterzubringen. Alljährlich vor Allerseelen fand beim Kriegerdenkmal eine Feier zum Gedenken an die gefallenen und vermissten Soldaten beider Weltkriege statt. Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der Platz im Herzen der Stadt vor allem als Parkfläche verwendet.
Anfang der 1990-er Jahre beschloss die Stadtgemeinde Zwettl, den Hauptplatz neu zu gestalten. Zielvorstellung war hierbei, der Stadt wieder einen attraktiven Mittelpunkt zu geben, der zum Verweilen und Kommunizieren einlud. Man wollte dem Platz also seine alte Funktion weitgehend zurückgeben und für die Zukunft erhalten.
Der international renommierte Künstler Friedensreich Hundertwasser, 1928 als Friedrich Stowasser geboren, hatte 1964 die stillgelegte „Hahnsäge“ im oberen Kamptal zwischen Zwettl und Roiten erworben. Über Vermittlung des Zwettler Kaufmannes Peter Kastner gelang es den Gemeindeverantwortlichen, Meister Hundertwasser für die Planung und Errichtung einer Brunnenanlage auf dem Hauptplatz zu gewinnen, und der Gemeinderat fasste dazu am 6. Juli 1992 einen grundsätzlichen Beschluss.
Die Präsentation des Brunnenmodells stieß allerdings dann bei weiten Teilen der Zwettler Bevölkerung auf vehemente Ablehnung. Es formierte sich eine Bürgerinitiative, die das Projekt mit allen Mitteln verhindern wollte und versuchte, die öffentliche Meinung durch Leserbriefe und Aussendungen gegen das Vorhaben zu mobilisieren. Man schreckte selbst vor antisemitischen Äußerungen nicht zurück. Die Gegner des Hundertwasserprojekts vertraten die Ansicht, dass dieses für das historisch gewachsene Ensemble des Hauptplatzes unpassend sei und somit das Stadtbild beeinträchtigen würde. Eine Unterschriftenaktion gegen das Brunnenprojekt fand rund 1.300 Unterstützungen. Im Juli 1993 stellte die SPÖ Gemeinderatsfraktion den Antrag, die Entscheidung über den Bau des Brunnens auszusetzen und eine öffentliche Ausschreibung zur Gestaltung des Hauptplatzes vorzunehmen.
Auf der anderen Seite fand das Hundertwasserprojekt in großen Teilen der Bevölkerung breite Zustimmung. Die Meinungen waren also geteilt, und diese Spaltung ging quer durch manche Zwettler Familie.
Die ÖVP Fraktion im Gemeinderat trat gegen alle Widerstände und Anfeindungen weiterhin für die Planung Hundertwassers ein. Allen voran argumentierten Bürgermeister Franz Pruckner und Kulturstadtrat Leopold Rechberger, dass man gegenüber der Vielfalt des zeitgenössischen künstlerischen Schaffens aufgeschlossen sein müsse, dass das Hundertwasserprojekt mit seiner Formensprache und seinen Farben ein besonderer Anziehungspunkt im Zwettler Stadtzentrum werden könne und dass demokratische Abstimmungsmechanismen untaugliche Mittel für die Beurteilung von Kunst seien.
Am 3. November 1993 bestätigte der Zwettler Gemeinderat die vom Bürgermeister erteilte Baubewilligung für den Brunnen, und Friedensreich Hundertwasser besuchte wenig später die Baustelle, um letzte Details vor Ort abzuklären. Der Künstler verlangte übrigens für seine Planungen und Ideen kein Honorar. Die Kosten für den Brunnen (Materialien, Entlohnung für Baumeister, Installateur, Fliesenleger…) beliefen sich auf 1.783.103,-- Schilling excl. MwSt.
Im Rahmen des Pfingstspektakels vom 20. bis 22. Mai 1994 wurde der neu gestaltete Hauptplatz mit dem aus drei Hauptelementen bestehenden Hundertwasserbrunnen, nämlich den beiden Brunnensäulen mit Auffangbecken und dem Pavillon der Öffentlichkeit übergeben. Die Brunnenanlage bildet seitdem einen beliebten Treffpunkt im Herzen der Stadt. Durch diese Umbauarbeiten ist es der Gemeindeführung tatsächlich gelungen, den Hauptplatz von einem öden Parkplatz in ein lebendiges und attraktives Stadtzentrum zu verwandeln.
Friedensreich Hundertwasser starb am 19. Februar 2000 im Alter von 71 Jahren auf der Rückreise von Neuseeland nach Europa an Bord der Queen Elizabeth 2 an Herzversagen.
Im Oktober 2008 ließ der Zwettler Kaufmann Erich Splechtna anlässlich des 80jährigen Bestandsjubiläums seines Modehauses die sechs weißen Kugeln auf den einzelnen Elementen des Hundertwasserbrunnens, die bis zu diesem Zeitpunkt überdimensionalen Tennisbällen ähnelten, auf eigene Kosten vergolden. Diese Arbeit führte der Zwettler Restaurator Mag. Ralf Wittig durch.
F.M. 11/2015
Quellen:
Neue Zwettler Nachrichten. Mitteilungen des Bürgermeisters der Gemeinde Zwettl, Nr. 3/93, Nr. 6/93, Nr. 2/94, 3/94.