Aus den Beständen des Stadtarchivs Zwettl: Das Gerichtsbuch von 1669-1698, Sign. 5-1

Veröffentlichungsdatum19.06.2008Lesedauer3 Minuten
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Im Stadtarchiv Zwettl befindet sich ein Gerichtsprotokoll aus den Jahren 1669 bis 1698. Es enthält auf 80 Blättern insgesamt 363 Gerichtsfälle, die vor dem Zwettler Stadtgericht verhandelt wurden. Zahlreiche weitere Gerichtsfälle aus den Jahren 1553 bis 1850 sind, wenn meist auch nur als kurze Notizen über die Urteilsverkündung, in den Ratsprotokollen der Stadt verzeichnet.
Das erwähnte Gemainer statt Zwettl gerichts büech enthält ausschließlich Fälle der niederen Gerichtsbarkeit, also vorwiegend Raufhändel, Verbalinjurien (Beleidigungen, Streitigkeiten...), Diebstähle, Sexualdelikte (Ehebruch, Unzucht) u.dgl.
Landläufig ist man der Meinung, die mittelalterliche und frühneuzeitliche Gerichtsbarkeit wäre ungemein streng, ja brutal gewesen. Hinrichtungen, Folter, Züchtigungen und Schandstrafen wie das Prangerstehen oder das Anlegen der Fiedel hätten in früherer Zeit zum Alltag der Bevölkerung in den Städten gehört. In Museen und Schausammlungen finden sich zahlreiche Objekte aus dem Bereich der „mittelalterlichen“ Justiz, die, wenn man dazu noch den Ausführungen der Museumsführer Glauben schenkt, oft ein Bild von geradezu sadistischen Richtern zeichnen, denen wohl mehr die Rache als die Sühne oder die Bestrafung von Delinquenten Leitmotiv gewesen sein muss. Diese weit verbreitete Ansicht, deren Wurzeln sicherlich in Geschichten, Vorstellungen und Phantasien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts liegen, haben mit der historischen Realität aber nur wenig gemein.
Protokoll vom 7. 1. 1694Wie auch das erwähnte Zwettler Gerichtsprotokoll aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zeigt, waren die Gerichte der damaligen Zeit weit mehr um Ausgleich als um Bestrafung bemüht. Nicht das Quälen, das Bloßstellen, das „an den Pranger Stellen“ von Delinquenten war das Ziel der Gerichte, sondern viel mehr der Vergleich, die Befriedung, die Mediation, um einen Ausdruck unserer Zeit zu verwenden. Schließlich war es ja auch das Ziel der Grundherrschaften und ihrer Gerichte, die Ruhe im Land aufrecht zu erhalten und Hass und Zwietracht unter der Bevölkerung zu vermeiden. Der weitaus überwiegende Teil der Konfliktfälle, die im Zwettler Gerichtsprotokoll verzeichnet sind, mündet daher auch in einem Vergleich. Die streitenden Parteien wurden unter Androhung hoher Geldstrafen im Wiederholungsfall zur Versöhnung, zum Reichen der Hände bewegt und zu guetten freündten erklärt. Schandstrafen wurden, wie auch eine Durchsicht der Ratsprotokolle belegt, nur sehr selten verhängt.
Von den im Zwettler Gerichtsbuch verzeichneten Raufhändel wurden zum Beispiel:
26,49 % nach Abbitte und Verpönung (Strafandrohung) verglichen bzw. aufgehoben,
49,67 % mit einer Geldstrafe belegt und verglichen,
7,95 % mit Geld- und Arreststrafe belegt,
14,57 % mit Arrest und
1,32 % mit Anhängung der Fiedel bestraft.
In Extremsituationen, und die waren auch in früherer Zeit Gott sei Dank nicht alltäglich, scheute die Obrigkeit vor drastischen Maßnahmen und drakonischen Strafen allerdings nicht zurück. Auch kam der erwarteten abschreckenden Wirkung von drakonischen Strafen früher höhere Bedeutung zu als heute. Wiewohl es sehr fraglich erscheint, ob harte Strafdrohungen jemals wirklich Verbrechen verhindern konnten.

Das Gemainer statt Zwettl gerichts büech ist in Transkription auf dieser Homepage einsehbar. Hervorzuheben ist aber vor allem, dass seit 2006 über dieses Buch eine sehr fundierte und interessante Arbeit eines führenden österreichischen Historikers vorliegt, der übrigens auch die oben erwähnten Prozentzahlen entnommen sind:
Martin Scheutz: Vergleichen oder Strafen? „Gute policey" als Ordnungsprinzip der Frühen Neuzeit in den österreichischen Erbländern - das Zwettler Niedergerichtsprotokoll 1669-1698, in: Václav Bužek/Pavel Král (Hg.): Opera historica 11. Spolecnost v zemích Habsburské monarchie a její obraz v pramenech (1526–1740) (Brno 2006) 461–505.