Anlässlich der Verleihung des Europäischen Kulturerbe-Siegels für das Projekt „Cisterscapes“ luden am 11. Mai die Stadtgemeinde Zwettl und das Stift Zwettl zu einer großen Feier. Im Festsaal des Stiftes wurde die neue Kulturerbe-Stätte präsentiert. Durch das Programm führte Stadträtin KommR Anne Blauensteiner, MA, die das Projekt schon lange begleitet und sich sichtlich über die Auszeichnung freute: „Nach fünf Jahren teils beschwerlichem Weg sind wir jetzt angekommen!“ Alle Fotos von der Feier finden Sie in unserer Bildergalerie.
Bereits am 17. April wurde die Klosterlandschaft Stift Zwettl mit 16 weiteren Zisterzienser-Stätten von der Europäischen Kommission mit dem Kulturerbe-Siegel ausgezeichnet. Damit werden Stätten gewürdigt, die „Meilensteine auf dem Weg zur Schaffung des heutigen Europas sind. Und Stätten, die sowohl die europäischen Ideale und Werte als auch die Geschichte und Integration Europas würdigen und symbolisieren“, heißt es in der offiziellen Beschreibung. Mehr dazu lesen Sie hier.
„Perle im Waldviertel“
Dass die Wurzeln der Zisterzienser in Zwettl fest verankert sind, hob Bezirkshauptmann Dr. Markus Peham in seinen Grußworten hervor: „Ihre Präsenz ist in der Architektur und Landschaft des Waldviertels noch immer spürbar. Die Zisterzienser waren Meister der Landwirtschaft und des Wasserbaus. Durch das Kulturerbe-Siegel ist dieser Ort nun als kultureller Hotspot im Waldviertel anerkannt.“
Bürgermeister LAbg. ÖkR Franz Mold strich die Bedeutung der Verleihung hervor: „Das Europäische Kulturerbe-Siegel gilt als Oscar für Kulturstätten! Es ist eine Auszeichnung, die für alle in der Region Nutzen schaffen kann und positive Impulse für die gesamte Region setzt.“ Die Zisterziensische Klosterlandschaft in Stift Zwettl ist erst der vierte österreichische Ort, der mit diesem Siegel ausgezeichnet wurde. „Wir freuen uns, diese Perle im Waldviertel damit für ganz Europa sichtbar gemacht zu haben“, sagte Mold.
Gotteserfahrungen auf Pilgerwegen
Abt Johannes Maria Szypulski OCist zeichnete in seiner Rede die Geschichte der Zisterzienser in Zwettl nach: Vor etwa 900 Jahren wurde hier das Stift gegründet, um ein geistliches Zentrum für die Region zu sein. Er betonte, dass die Auszeichnung nicht das Kloster erhalte, sondern damit die gesamte Klosterlandschaft nutzbar wird, etwa durch Weitwanderwege: „Über die Pilgerwege im Waldviertel sollen die Besucher zu persönlichen Gotteserfahrungen kommen.“
Szypulski appellierte auch, dass das religiöse, bzw. christliche Leben auch in der EU wieder mehr Platz finden müsse, nach dem Leitspruch „ecclesia semper reformanda“, der auf den heiligen Augustinus zurückgeht: „Die Kirche ist immer reformierbar – genauso muss auch die EU reformierbar sein“, so der Abt.
Wo und wann beginnt Europa?
Stiftsarchivar Dr. Andreas Gamerith und die Zwettler Stadtarchivarin Elisabeth Moll, MBA, präsentierten Details zum Projekt und zu den Besonderheiten der Zisterziensischen Klosterlandschaft Zwettl (mehr dazu am Ende des Artikels). Auf die Frage „Wann beginnt Europa?“ erklärten die beiden Historiker: „Vielleicht in jenem Moment, in dem wir erkennen, dass wir als Gesellschaft für unsere Zukunft einen Weg einschlagen müssen, der den Mönchen des 12. Jahrhunderts durchaus ähnlich ist: Die Eigenarten vor Ort nicht vernachlässigen und dabei dennoch jene Grenzen überschreiten, die es verhindern, dass wir in Europa einander freundschaftlich, brüderlich begegnen können. Einen versöhnlicheren Umgang finden mit den Ressourcen der Natur. Stärker die Orte, an denen wir leben, gestalten anstatt sie auszubeuten.“
Auch bei der Frage nach dem Geburtsort von Europa zeichneten Elisabeth Moll und Andreas Gamerith einen gedanklichen Pfad zur frisch gebackenen Kulturerbe-Stätte im Waldviertel: „Vielleicht hier: An diesem Ort, den die Zisterzienser seit beinahe 900 Jahren mitgestaltet haben und von dem aus sie sich verbunden fühlten all jenen Häusern, die, genau wie sie, den Versuch unternommen haben, diese Welt positiv zu verändern.“
Ort des Vermittelns europäischer Werte
Feierten die Verleihung des Europäischen Kulturerbe-Siegels: Silvia Moser, Anne Blauensteiner, Andrea Wiesmüller, Markus Peham, Alexander Bernhuber, Andreas Gamerith, Johannes Maria Szypulski, Elisabeth Moll, Melanie Braun, Franz Mold, Stefanie Sillar, Martina Diesner-Wais, Ralf Wittig und Michal Kozár.
Das Mitglied des Europäischen Parlaments Alexander Bernhuber gratulierte in Vertretung von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner zu der Auszeichnung. „Die Klosterlandschaft des Zisterzienserstiftes Zwettl ist ein Ort des Vermittelns, an dem die europäischen Werte Demokratie, Toleranz und Solidarität weitergegeben werden.“ Gerade in einer Zeit, in der die Europäische Union vielfach durch Krisen geschüttelt sei, müsse man aufpassen, nicht in einfache Antworten zu verfallen, sondern Weitblick zu schaffen, erklärte Bernhuber.
Für die musikalische Umrahmung sorgte das stimmgewaltige Quartett bestehend aus Stiftskapellmeisterin Stefanie Sillar, BA, Melanie Braun, MSc, Dr. Andreas Gamerith und Mag. Ralf Wittig. Passend zum europäischen Gedanken sangen sie gemeinsam mit dem Publikum zum Abschluss die Europahymne.
anie Sillar, BA, Nationalratsabgeordnete Martina Diesner-Wais, Restaurator Ralf Wittig und der Bürgermeister der Partnerstadt Jindrichuv Hradec, Michal Kozár.
Was das Stift Zwettl so besonders macht
Die Klosterlandschaft von Stift Zwettl stellt eine der prominentesten Vertreterinnen ihrer Art dar. Nicht nur die ausgezeichnete Erhaltung der prägenden Merkmale ist hier zu betonen, auch die historische Dokumentation ist als Ausnahmefall zu werten.
Mit der berühmten Darstellung des „Umritts“ im Stiftungsbuch, der sogenannten „Bärenhaut“, verfügt Stift Zwettl außerdem über die älteste bildliche Darstellung einer Zisterzienserlandschaft, bei der prägende Elemente bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts erfasst wurden – Elemente, die bis heute Bestand haben. Weitere Besonderheiten im Überblick (Quelle: Elisabeth Moll und Andreas Gamerith):
Der ursprüngliche Besitz, also die Schenkung von Hadmar I., liegt im Umkreis von rund 10 Kilometern um das Kloster Zwettl. Im 15. Jahrhundert erreichte der Einfluss- und Wirkungsbereich des Klosters im Waldviertel bereits einem Umkreis von ca. 20 km um das Kloster.
In der Barockzeit konnte dieser Wirkungskreis weiter ausgebaut werden, vor allem weit in östlicher und südöstlicher Richtung bis ins westliche Weinviertel und nach Wien. Vereinzelt lagen Besitzungen sogar südlich der Donau.
Die strengen Fastengebote des Zisterzienserordens zwangen die Mönche dazu, Fisch als Eiweißquelle sicherzustellen. So legten die Mönche, die die Wasserbaukunst ausgezeichnet beherrschten, rund um das Kloster zahlreiche (Karpfen-)Teiche an. Viele dieser Teiche sind noch heute erhalten und als Naturreservate geschätzt.
Die Statuten des Zisterzienserordens verpflichteten die Mönche zur Eigenwirtschaft. Zu diesem Zweck errichtete das Kloster eigene Wirtschaftshöfe, sogenannte Grangien. In der Umritt-Darstellung sind in den Medaillons einige Grangien dargestellt. Es ist bemerkenswert, dass schon in dieser Federzeichnung aus dem 14. Jahrhundert, Geisruck und Pötzles bereits als ehemalige Grangien bezeichnet werden. Die Lage und Anzahl der Grangien wechselte über die Zeit, einige wurden aufgelassen, andere neu errichtet. Äußerst bemerkenswert ist, dass noch heute in der Zwettler Klosterlandschaft viele dieser ehemaligen Grangien erhalten sind.
Die Neumühle am Kamp oberhalb des Stiftes ist vielen bekannt und hat eine jahrhundertelange Tradition. Was viele nicht wissen, ist dass die Zisterziensermönche immer sehr fortschrittlich waren und innovative Techniken nutzten und weiterentwickelten. So wurde das Kloster schon Ende des 19. Jahrhunderts mit elektrischem Strom aus einem eigenen Wasserkraftwerk versorgt. Die Stiftskirche von Zwettl war bereits mit elektrischer Beleuchtung ausgestattet, als in Wien noch Gaslaternen angezündet wurden.
Sakraldenkmäler sind ein weit verbreitetes Element der Klosterlandschaft und in vielfältiger Form zu finden. Bei Wegkapellen und einigen Weg- bzw. Flurkreuzen ist ein unmittelbarer Entstehungszusammenhang mit Stift Zwettl erkennbar.
Die Romanische Brücke im Stift Zwettl bildet den Zugang von Süden zum Klosterareal. Sie ist eines der ältesten technischen Bauwerke auf österreichischem Gebiet.
Dass Waldflächen seit der Klostergründung zum festen Besitz des Klosters gehörten, ist in der Umritt-Darstellung dokumentiert. Ende des 19. Jahrhunderts wird der klösterliche Waldbesitz mit rund 2.700 ha angegeben. Zusätzlich werden „Hutweiden“ angeführt. Diese sind ein Beleg für die in historischer Zeit weit verbreitete Waldweide-Wirtschaft. Noch heute bildet der Wald für das Kloster eine wichtige Wirtschaftsgrundlage.
In der Umritt-Darstellung werden der Polan- und der Böhmsteig als wichtige Verbindungswege genannt. Die Zisterzienser sollten zwar in der Abgeschiedenheit leben und arbeiten, aber dennoch suchten sie immer die Verbindung zur Außenwelt. Im Zuge des Projekts zur Stadtgeschichte Zwettl wurden versucht, den Verlauf dieser genannten Steige zu rekonstruieren.
Im Rahmen der Qualifikation zum Europäischen Kulturerbe-Siegel bemühte sich „Cisterscapes“, unterschiedliche Projekte zu initiieren, die das Kulturphänomen an Bewohner, aber auch an Gäste der jeweiligen Regionen vermitteln soll. Vor allem die Arbeit mit Jugendlichen steht hier im Fokus.
Deshalb soll – neben Vorträgen und Workshops – in den nächsten Jahren auch ein Weitwanderweg zwischen den Klöstern umgesetzt werden. Auch wenn die Routen nicht den historischen Reiserouten entsprechen, soll damit die enge, grenzüberschreitende Verbindung seit dem Mittelalter erfahrbar gemacht werden.