Vor 150 Jahren: Ein böhmischer Handwerksbursch im Zwettler Siechenhaus
Noch im 19. Jahrhundert war es üblich, dass Handwerksburschen im Rahmen ihrer Ausbildung auf Wanderschaft gingen. Oft legten sie dabei weite Strecken zurück. Zu Beginn des Jahres 1869 hielt sich der Schuhmachergeselle Franz Modracek aus Dachow, Bezirk Chrudim in Ostböhmen in Zwettl auf, vermutlich arbeitete er hier bei einem der vielen ortsansässigen Meister. Am 23. Jänner erkrankte er. Damals gab es in Zwettl noch kein Krankenhaus, es gab auch keine Krankenversicherung oder Krankenkasse, welche die Arzt- und Medikamentenkosten geschweige denn die Verpflegung für einen kranken Handwerksburschen übernehmen hätte können. Da man den Kranken aber doch versorgen musste, brachte man ihn im städtischen Siechenhaus unter. Dieses stand dort, wo sich heute die Werkstätte der Caritas befindet, am Damm, so hieß damals die Gartenstraße, heute trägt das Haus die Adresse Landstraße 2.
Am 1. Februar 1869 war Modracek wieder so weit genesen, dass er das Siechenhaus verlassen konnte. Nun war aber guter Rat teuer: Durch den Aufenthalt im Siechenhaus waren Kosten erwachsen, und Modracek war mittellos. Der Gastwirt Johann Pfeifer, der die Kranken im Siechenhaus verpflegte, stellte für die Verköstigung 3 Gulden und 60 Kreuzer in Rechnung. Agnes Mayer, die Modracek durch 9 Tage betreut hatte, verlangte pro Tag 15 Kreuzer und für das Reinigen der Wäsche weitere 20 Kreuzer. Obwohl sich die Gemeindeverwaltung bereit erklärte, aus dem Kammeramtsvermögen für die verabreichten Medikamente aufzukommen, blieben letztlich 5 Gulden und 88 Kreuzer offen. Franz Modraceks Mutter Franziska, die als Taglöhnerin in Dachow wohnte, verfügte wie ihr Sohn über kein Bargeld, und so wandte sich die Stadtgemeinde Zwettl am 3. Februar in einem Schreiben an die Heimatgemeinde des Schuhmachergesellen und ersuchte, die offene Rechnung zu begleichen. Ob diese Bitte von Erfolg gekrönt war, ist aus den vorliegenden Schriftstücken nicht zu entnehmen.
Das Siechenhaus, in dem durch Jahrhunderte vor allem mittellose Zwettler Quartier und Verpflegung finden konnten, wurde in dieser Zeit immer häufiger als Unterkunft für erkrankte Durchreisende genutzt. 1858/59 hatte man es aus diesem Grund umgebaut und erweitert. Die Armen brachte man nun meist in der Haarstube im Zwettltal oder in der Propstei unter. 1872 wurde das Siechenhaus über Landtagsbeschluss endlich zu einem allgemeinen öffentlichen Krankenhaus erhoben.
Quelle:
Stadtarchiv Zwettl, Karton 71, Reg.Nr. 56.