Studierende am Institut für Geschichte der Universität Wien stellten sich in zwei Forschungsseminaren der Aufgabe, die Geschichte von vier niederösterreichischen Gemeinden im Jahre 1607 zu vergleichen. Grundlagen des Vergleichs waren die von den damaligen Stadtschreibern geführten Ratsprotokolle der Städte Perchtoldsdorf, Retz, Waidhofen an der Ybbs und Zwettl, die im Original in der schwierig zu lesenden Kurrentschrift zur Verfügung standen. Ein Ergebnis dieser Forschungsarbeit liegt nun in Buchform vor: „Stadt Macht Rat 1607“, das am Abend des 20. November im Großen Sitzungssaal des Stadtamtes Zwettl präsentiert wurde.
Aus dem Kreis der Zuhörer begrüßte Bürgermeister Herbert Prinz die Stadträte Johann Krapfenbauer, Wilfried Brocks und Franz Edelmaier sowie Notar Franz Kienast. Als besondere Gäste hieß er Landesarchivdirektor Willibald Rosner willkommen, der in seiner Funktion als Generalsekretär des Vereins für Landeskunde von NÖ für die Finanzierung des Bandes verantwortlich zeichnete, außerdem zwei Herausgeber - die Universitätsprofessoren Martin Scheutz und Herwig Weigl. Er vermutete, dass sich die beiden Wissenschaftler „offensichtlich in die Stadt verliebt haben, denn sie arbeiten für Zwettl unentgeltlich, ja sie treiben sogar noch Geld für die Auflage der Werke auf“. Als „Bindeglied zwischen Landesarchiv und Universität“ fungierte Stadtarchivar Friedel Moll.
Martin Scheutz bezeichnete einleitend die Ratsprotokolle als Sonde, um Antworten auf Fragen nach dem Alltagsleben in Kleinstädten zu bekommen. Die untersuchte Zeit, das Jahr 1607, war eine vorübergehende Ruhephase, geprägt durch das Ende des langen Türkenkrieges, die Niederschlagung der vorangegangenen Bauernaufstände, den Beginn des großen konfessionellen Zeitalters, durch die Wirtschaftskrise und die klimatisch schwierige „kleine Eiszeit“.
Horst Illmeyer, ein Seniorstudent, dessen Beitrag im Buch eine Zusammenfassung seiner Diplomarbeit darstellt, lieferte aus der ungemein ergiebigen Geschichtsquelle Ratsprotokolle einige Einblicke in das tägliche Leben der Bürger von damals. Während in Retz und Perchtoldsdorf der Weinbau dominierte, profitierte Waidhofen vom Eisenhandel und dem damit verbundenen „Provianthandel“. In Zwettl bildeten Tuchmacher die begüterte Stadtprominenz. Als landesfürstliche Stadt hatte Zwettl besondere Verpflichtungen im Landtag zu erfüllen. So kam es, dass Zwettler Räte immer wieder mit Pferdefuhrwerken zur „Wiener Rayß“ aufbrachen, wobei sie ohne militärischen Schutz eine hohe Abgabensumme transportierten. Allerdings agierten sie oft bockig und aufmüpfig gegenüber der Obrigkeit.
Anschließend erzählte Friedel Moll von den Aufgaben des Archivs, die über das Sammeln, Bewahren, Forschen und Publizieren hinausgehen. Das Archiv ist Anlaufstelle für Ahnenforscher, für Schüler, die ein Referat erstellen, für Leute mit seltsamen Fundstücken, für Kalendermacher und für Planer lokaler Aktivitäten zu historischen Anlässen. Damit kann das Archiv das Gemeinschaftsgefühl fördern und das Identitätsbewusstsein stärken.
Abschließend dankte der Bürgermeister den Verantwortlichen für das Buch und lud zum Imbiss. Den musikalischen Rahmen der Veranstaltung schuf das Zwettler Querflötenquartett.
Das vorgestellte Buch:
Andrea Griesebner / Martin Scheutz / Herwig Weigl (Hg.), Stadt - Macht - Rat 1607. Die Ratsprotokolle von Perchtoldsdorf, Retz, Waidhofen an der Ybbs und Zwettl im Kontext. = Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich, Band 33 (Verein für Landeskunde von Niederösterreich, St. Pölten 2008), 594 Seiten ist im örtlichen Buchhandel und beim Verein für Landeskunde von Niederösterreich zum Preis von € 32,-- erhältlich:
http://www.noe.gv.at/Bildung/Bibliotheken-Archive/Publikationen/Publikationen_VLKNOE.html#48088
NÖN, Zwettler Zeitung, 25. November 2008