Walther von der Vogelweide wurde um 1170 geboren und starb zwischen 1228 und 1230. Er war ohne Zweifel der berühmteste Minnesänger und Spruchdichter des deutschen Mittelalters.
Über seine Herkunft ist leider nur wenig bekannt. Auch aus Walthers Werken lassen sich – im Gegensatz zu den meisten anderen mittelhochdeutschen Dichtern – keine Rückschlüsse auf seine geographische Herkunft ziehen. Allerdings schrieb er selbst einmal, dass er in Österreich „singen und sagen“ gelernt habe, und dieses Österreich an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert ist im Wesentlichen mit dem heutigen Niederösterreich (einschließlich Wien) gleichzusetzen.
Wir wissen, dass er sich gerne am Babenbergerhof in Wien aufhielt, er war aber auch im Gefolge deutscher Könige und Kaiser viel unterwegs. Er kam bis Nordfrankreich, Italien, Schwaben und Thüringen. Zwischen 1228 und 1230 starb er vermutlich in Würzburg, wo er auch begraben sein dürfte.
Walter von der Vogelweide aus dem Codex Manesse
Schon ab 1600 begann man nach Walthers Heimat zu suchen. Die Schweiz, Würzburg, Frankfurt und Feuchtwangern reklamierten Walther mit unterschiedlichen Argumenten für sich. 1864 entdeckte der Wiener Germanist Franz Pfeiffer (1815-1868) einen Vogelweidhof bei Sterzing und der Literaturwissenschafter Ignaz Zingerle etwas später zwei Vogelweidhöfe im Grödnertal in Tirol. 1877 wurde in Innsbruck ein Walther-Denkmal enthüllt und 1889 jenes in Bozen. 1893 fand Hermann Hallwich im böhmischen Dux (Duchcov) einen Vogelweidhof, und somit trat auch diese Stadt in den Kreis der Mitbewerber um Walthers Heimat ein. Viele andere, wie Nürnberg, Krakau, Kaschau in Ungarn usw. sollten noch folgen. Meist war man dort in alten Landkarten, Urkunden oder Grundbüchern auf eine Vogelweide oder einen Vogelweidhof gestoßen. (Vogelweiden oder Vogelweidhöfe waren Orte, wo Vögel, meist junge Beizvögel, gefangen oder abgerichtet wurden. Vögel also, die man für die im Mittelalter sehr beliebte Falkenjagd benötigte. Solche Hof- oder Flurnamen gab und gibt es noch heute eine ganze Menge in Mitteleuropa. Allein in Niederösterreich sind derzeit (2003) 14 Vogelweidhöfe bekannt.)
Schon in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts nannte Alois Plesser in seinen 1911 bzw. 1951 erschienenen Beiträgen zur Kirchengeschichte des Waldviertels einen „Vogelwaydhof“ im Raum Traunstein, ohne ihn exakt lokalisieren zu können. Dieser Hof scheint 1556 in einem Urbar der Herrschaft Rappottenstein auf. 1974 gelang es Dipl.-Ing. Helmut Hörner in seinem Buch „800 Jahre Traunstein“ dieses Anwesen als den Hof „Waid“ bei Lichtenau nordwestlich von Traunstein bzw. östlich von Schönbach zu identifizieren. Schließlich kam 1977 der deutsche Germanist und Walther von der Vogelweide-Experte Univ.-Prof. Dr. Bernd Thum (Universität Karlsruhe) nach intensiver inhaltlicher Analyse der etwa 1227-28 entstandenen „Alterselegie“ von Walther von der Vogelweide zu dem Schluss, dass Walthers Heimat in einer Gegend gelegen haben muss, die während dessen Jugend nur dünn besiedelt war und erst im frühen 13. Jahrhundert intensiv kolonisiert wurde, die weiters so abgelegen war, dass sie Walther während seiner vielen Reisen jahrzehntelang nicht hatte besuchen können. Beides traf jedenfalls für das Waldviertel, keineswegs aber für Südtirol oder den süd- bis mitteldeutschen Raum zu.
1987 stieß der Heimatforscher Walter Klomfar bei seinen Arbeiten im Stiftsarchiv Zwettl auf eine Karte von 1656, die ein damals bereits verödetes Dorf namens Walthers zeigte, bei dem sich eine große Vogelweide befunden hatte. Dieses Dorf lag bei Hörmanns, im heutigen Gemeindegebiet von Zwettl, am Rand des Truppenübungsplatzes Allentsteig.
Bild 1: Die 1656 gezeichnete Karte des heute verödeten Dorfes Walthers mit seiner großen Vogelweide (Stiftarchiv Zwettl)
Bild 2: Mappenblatt des „Franziszeischen Katasters“ von ca. 1825 mit dem verödeten Dorf Walthers und der Vogelweide. Von Walter Klomfar ergänzt, bearbeitet und mit Text versehen.
Weitere Recherchen Klomfars ergaben, dass das Dorf Walthers nach 1150 wahrscheinlich von einem Mann namens Walther de Tige gegründet worden war, einem Gefolgsmann des damaligen Besitzers der Burg Allentsteig. Die Vogelweide, die unmittelbar an das Dorf anschloss, war 5 bis 6 Quadratkilometer groß. Der erwähnte Walther de Tige könnte also der Vater des großen Dichters Walther von der Vogelweide gewesen sein. Walter Klomfars Theorie fand in den letzten Jahren große Beachtung und Anerkennung, besonders in der Fachwelt. In weiterer Folge wurde der Verein „Walter von der Vogelweide – ein Waldviertler“ gegründet. Er veranstaltete Vorträge, Bildungsreisen und international besetzte Symposien. 1993 wurde ein ehemaliger Dorfbrunnen im Bereich des verödeten Dorfes Walthers freigelegt und rekonstruiert. Ein Gedenkstein markiert heute jene Stelle, wo sich möglicherweise jener Ort befand, in dem Walther von der Vogelweide seine ersten Lebensjahre verbrachte.
Friedel Moll, 7/2003
Literatur:
Helmut Hörner, 800 Jahre Traunstein, Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes, Band 14 (Krems 21975, 32003). [Dieses Buch erschien 2003 in einer Neuauflage als CD.]
Walter Klomfar, Walther von der Vogelweide und das Waldviertel (= Zwettler Zeitzeichen Nr. 3, Zwettl 2000)
Walter Klomfar, Das Waldviertel. Die Heimat Walthers von der Vogelweide. Eine Theorie stellt sich vor (Zwettl 2002)
Bernd Thum, Walther von der Vogelweide und das werdende Land Österreich. In: Die Kuenringer. Das Werden des Landes Niederösterreich (= Katalog der NÖ Landesausstellung, Wien 1981)