Der berüchtigte Räuberhauptmann Johann Georg Grasel (1790 – 1818) ist eine Gestalt, die durch viele Jahrzehnte die Fantasie der Menschen nicht nur im Waldviertel beflügelte. Um ihn ranken sich unzählige Geschichten. Noch heute zeigt man in vielen Orten des Wald- und Weinviertels, in Böhmen und Mähren Graselhöhlen, in denen der Räuber und seine Kumpane Zuflucht gefunden haben sollen. Meist haben diese „Höhlen“ mit Grasel aber nichts zu tun. Auch die weit verbreitete Meinung, der Grasel sei in gewissem Sinn ein Robin Hood gewesen, der den Reichen nahm und die Armen beschenkte, entbehrt jeder Grundlage. Grasel war einfach ein Krimineller, der dort Beute machte, wo etwas zu holen war, ohne jede soziale Rücksicht. In der Umgangssprache Südmährens gilt übrigens das Wort „grázl“ auch heute noch als Synonym für einen Gauner im weitesten Sinn.
Johann Georg Grasel wurde am 4. April 1790 in Neu-Serowitz (Nové Syrovice) in Mähren geboren. Die Familie Grasel war eine weit verbreitete Abdeckerfamilie (auch Schinder oder Wasenmeister genannt) im nördlichen Waldviertel und im Südwesten Mährens. Die Abdecker – sie waren für die Beseitigung von Tierkadavern zuständig – gehörten auch noch im 18. und 19. Jahrhundert zu den Außenseitern der Gesellschaft. Sie standen, knapp über den Bettlern und Vagabunden, am unteren Ende der sozialen Hierarchie und hatten kaum Chancen, in höhere Gesellschaftsschichten aufzusteigen. Viel häufiger kam es vor, dass sie in kriminelles Milieu abglitten.
So auch Vater Thomas Grasel. Er hatte als Gerichtsdiener und Abdeckerknecht gearbeitet. Weil seine Familie ständig von Armut bedroht war, versuchte er sich zeitweise als Bettler, verübte aber auch immer wieder Diebstähle, Einbrüche und Raubüberfälle, für die er mehrmals zu Haftstrafen verurteilt wurde.
1806, als Thomas Grasel wieder einmal im Gefängnis saß, beteiligte sich der gerade 16-jährige Johann Georg (Hans-Jörgel) über Drängen der Mutter erstmals an einer Diebstour. Diebstähle, Einbrüche und Raubüberfälle, bei denen er manchmal mit großer Brutalität vorging, wurden bald zu seiner Hauptbeschäftigung, unterbrochen nur durch wenige Versuche, seinen Unterhalt als Wasen-, dann als Bauernknecht oder Soldat ehrlich zu verdienen.
Er beging – teils alleine, teils mit verschiedenen Spießgesellen, die er immer wieder wechselte – im gesamten Waldviertel, im westlichen Weinviertel, in Südböhmen und Südmähren unzählige Straftaten. Er fand vor allem bei Wasenmeistern, Gerichtsdienern und Viehhirten, bei Menschen also, die der selben Gesellschaftsschicht angehörten wie er, im ganzen Land leicht Zuflucht. Seine Informanten, Spießgesellen und Kontaktpersonen stammten aus eben diesen Kreisen. Grasel konnte daher nach begangener Straftat rasch untertauchen, er war mit den damals üblichen Polizeimethoden kaum zu fassen.
Sein größtes Verbrechen, für das er letztlich auch am Galgen endete, beging er im Jahr 1814 in Zwettl: Am 18. Mai 1814 kam Grasel mit seinen Spießgesellen Jakob Fähding, Martin Fuchs und Paul Haidinger nach Zwettl. Sie trafen sich im Halterhaus am Damm Nummer 49, bei Haidingers Eltern (heute Gartenstraße 26, Fam. Prock). Dort gab ihnen der Zwettler Webermeister Kaspar Pomeisl einen Tipp für einen lohnenden Einbruch.
Kaspar Pomeisl wohnte im Haus Dienergasse 126 (heute Florianigasse 3). Er war 43 Jahre alt und konnte seine Familie mehr schlecht als recht ernähren. Er berichtete von der 66-jährigen Witwe Anna Maria Schindler, die in der Dienergasse 128 (heute Bürgergasse 3) wohnte und als vermögend galt. Sie hatte sieben Jahre zuvor einen bedeutend jüngeren Mann geheiratet, der sich aber bald als Tunichtgut erwies, sodass er vom Magistrat der Stadt Zwettl „zur eigenen Correktion“ zum Militär gesteckt wurde.
Das ehemalige Haus der Anna Maria Schindler, Bürgergasse 3
Nach Einbruch der Dunkelheit machte sich die Bande unter der ortskundigen Führung von Pomeisl zum Haus der Schindler auf. Man warf einen in Papier gewickelten Köder in den Hof des Nachbarhauses und vergiftete so den als bösartig bekannten Hund.
Um 11 Uhr nachts brach die Bande in das Haus ein, alle waren bewaffnet. Sie verhängten die Fenster, zündeten mehrere Kerzen an und versuchten, die alte Frau, die aufgewacht war, zu überwältigen. Grasel hielt ihr den Mund zu, Fähding fesselte sie mit einer schnell abgeschnittenen Uhrkette an Armen und Beinen. Sie hörte aber nicht auf zu schreien und sich zu wehren, machte Lärm und schlug um sich. Daher versuchten die Einbrecher sie in den Keller zu zerren, auch eine Tuchent verwendeten sie, um das Geschrei der Überwältigten zu dämpfen. Sie schlugen auf die Schindler mit einer Eisenstange ein und verletzten sie mit einem Messer. Wie es letztlich zu ihrem Tod kam, wurde nie ganz geklärt. Grasel gab später an, er wäre betrunken gewesen und mit seinem Opfer im Getümmel über die Kellertreppe gestürzt, wobei sie den Tod gefunden hätte.
Die Einbrecher erbeuteten etwa 100 Gulden in Silber und 130 Gulden Banknoten, sowie Kleidungsstücke und Bettwäsche. Pomeisl erhielt für seine Dienste 11 Gulden. Am nächsten Tag wurde die Untat bald entdeckt. Eine Gerichtskommission untersuchte den Tatort. Zunächst verdächtigte man den geschiedenen Ehemann der Anna Maria Schindler des Verbrechens, er war aber mittlerweile Offiziersdiener in Linz geworden und hatte ein stichhaltiges Alibi.
Schließlich jedoch wiesen einige Indizien auf Kaspar Pomeisl, wie zum Beispiel charakteristische Fußspuren, die man am Tatort gefunden hatte. Pomeisls rechter Fuß stand nämlich stark auswärts (vermutlich als Folge einer Arbeitsverletzung), während sein linker normal gestellt war. Er wurde verhaftet und in den Arrest im Passauer Turm gesperrt. Während des verheerenden Brandes vom August 1814 hatte er Angst um sein Leben und machte großen Lärm, da er fürchtete, im Gefängnis vergessen zu werden. So brachte man ihn unter starker Bedeckung in das Stift Zwettl. Er wurde später von einem Berufungsgericht zu zwölf Jahren Kerker verurteilt.
Grasel und seine anderen Spießgesellen konnten flüchten. Er war mittlerweile zum meist gesuchten Verbrecher des Landes geworden. Da das damalige Polizei- und Justizsystem aber äußerst schwerfällig und aufgesplittert war - jede Grundherrschaft hatte in ihrem Bereich die Justiz- und Polizeigewalt inne - war es Grasel immer wieder durch raschen Ortswechsel möglich, den Verfolgungen zu entgehen. Man setzte hohe Prämien (zunächst 1000, dann gar 4000 Gulden) für seine Ergreifung aus und machte sogar mit militärischen Einheiten Jagd auf ihn und seine Mittäter. Aber erst durch einen kühnen Plan des Drosendorfer Justizbeamten Franz Joseph Schopf gelang es am 18. November 1815 dem Polizei-Informanten David Mayer, den gefürchteten Räuber in einem kleinen Gasthaus in Mörtersdorf bei Horn zu verhaften.
Grasel in Ketten
Aus: Harald Hitz (Hg.), Johann Georg Grasel.
Räuber ohne Grenzen (1999) S 51.
Grasel und seine Spießgesellen wurden am 31. Jänner 1818 in Wien (in der Gegend der heutigen Rossauerkaserne) vor einer riesigen Menschenmenge durch den Strang hingerichtet. Hauptgrund für das Todesurteil war das in Zwettl verübte Verbrechen an Anna Maria Schindler, wobei bereits damals Zweifel aufkamen, ob es sich um Mord oder nur um Totschlag gehandelt hatte. Nach Meinung von Juristen unserer Zeit wäre nach der damaligen Rechtslage in diesem Fall ein Todesurteil kaum gerechtfertigt gewesen.
Literatur:
Harald Hitz (Hg.), Johann Georg Grasel. Räuber ohne Grenzen (= Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes, Band 34, Horn 31999). [http://www.daswaldviertel.at/]
Winfried Platzgummer / Christian Zolles, J. G. Grasel vor Gericht. Die Verhörsprotokoll des Wiener Kriminalgerichts und des Kriegsgerichts in Wien (= Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes Band 53, Horn – Waidhofen an der Thaya 2013) [http://www.daswaldviertel.at/]