1850, Gemeinden werden gebildet

Grundherrschaft und Dorfobrigkeit
Gemäß der mittelalterlich-frühneuzeitlichen Gesellschaftsordnung hatte im ländlichen Raum der Grundherr die Verfügungsgewalt über Grund und Boden. Der Bauer war nicht Eigentümer seines Landes, er hatte es nur zur „Leihe“ erhalten, musste dafür dem Grundherrn Abgaben zahlen und für ihn Dienstleistungen verrichten. Er musste diesem Grundherrn aber auch Treue und Gehorsam schwören, ihn als seine Herrschaft, seine Obrigkeit anerkennen, sich seiner Disziplinargewalt und Gerichtshoheit unterwerfen.
Wenn in einem Dorf sämtliche Häuser ein- und derselben Grundobrigkeit unterstanden, übte der Grundherr in der Regel auch die dorfobrigkeitlichen Funktionen aus. Häufig waren jedoch in einem Dorf mehrere Grundobrigkeiten begütert. In diesen Fällen hatte meist jene Herrschaft die Dorfobrigkeit inne, die den größten Anteil an untertänigen Häusern besaß. Diese Obrigkeit musste vor allem Aufgaben auf dem Gebiet der Rechtspflege wahrnehmen, für Ruhe, Ordnung und Sicherheit sorgen und die Dorfgemeinde mit ihren Einrichtungen beaufsichtigen.
Auch in der Stadt Zwettl besaßen neben der Stadtherrschaft bis ins 19. Jahrhundert verschiedene auswärtige Herrschaften (vor allem Schickenhof, Propstei und Loschberg) untertänige Häuser. Stadtherr war der Landesfürst. Die Stadtobrigkeit und damit die örtliche Gerichtsbarkeit lag aber in den Händen der Stadtverwaltung. Auch in den umliegenden Ortschaften unterstanden zahlreiche Häuser und Grundstücke unterschiedlichen Herrschaften. Als Ortsobrigkeit fungierten in diesem Raum vor allem das Kloster Zwettl sowie die Herrschaften Schickenhof, Rosenau und Rottenbach.

Inhaber der Ortsobrigkeit, vor 1848
(nach: Brunner, Herrschaftskarten.)

Inhaber der Ortsobrigkeit, vor 1848
(nach: Brunner, Herrschaftskarten.)

Besonders die mittelalterliche und frühneuzeitliche Agrarverfassung (Dreifelderwirtschaft ...) erforderte eine weit intensivere dörfliche Gemeindeorganisation als heute. Die Dorfbewohner waren geradezu gezwungen, in ihrer Gemeinde - sozusagen als bäuerliche Genossenschaft - zusammenzuarbeiten. Ähnliches traf natürlich auch für die Bewohner einer Ackerbürgerstadt wie Zwettl zu.

Ortsgemeinden entstehen
Zu den bedeutendsten Veränderungen, welche die Revolution von 1848 brachte, gehören die Auflösung des feudalen Gesellschaftssystems, die Grundentlastung und die Bildung selbstständiger Ortsgemeinden.
Grundgedanke für Letzteres war – wenn auch zeitweise von neoabsolutistischen Bestrebungen verdrängt – der oft zitierte Satz: „Die Grundfeste des freien Staates ist die freie Gemeinde“ (Artikel 1 des Provisorischen Gemeindegesetzes – Kaiserliches Patent vom 17. März 1849, Reichsgesetzblatt Nr. 170).
Die Bildung der Ortsgemeinden erwies sich aber als recht schwierig. Die Basis für ihr räumliches Ausmaß stellten die Katastralgemeinden dar, deren Grenzen man Jahre zuvor im Zuge von „Steuerregulierungen“ vermessen und verzeichnet hatte. Wie viele Katastralgemeinden sich aber zusammenschließen und wie groß letztlich eine Ortsgemeinde sein sollte, darüber gab es unterschiedliche Vorstellungen. Vor allem stimmten die Zielvorstellungen der offiziellen Stellen mit den Wünschen und Bedürfnissen der betroffenen Bürger in den Städten und Dörfern meist nicht überein. Entscheidungen wurden anfänglich sozusagen am „grünen Tisch“ gefällt, ohne die Bevölkerung wirklich einzubeziehen. Das Ministerium des Inneren vertrat zunächst die Ansicht, dass möglichst große Gemeinden gebildet werden sollten. Man fürchtete nämlich, dass kleine Kommunen den neuen Anforderungen nicht gewachsen sein würden. Für den Bezirk Zwettl (in seinen heutigen Grenzen) sah zum Beispiel ein Entwurf des für das Waldviertel zuständigen Kreisvorstehers Wilhelm Beinhauer nur 23 Gemeinden vor (letztlich entstanden 1850 aber dann tatsächlich 140). Die Gemeinde Zwettl sollte demnach aus folgenden Katastralgemeinden bestehen: Stadt Zwettl und Vorstädte, weiters Koppenzeil, Böhmhöf, Gradnitz, Großhaslau, Gschwendt, Moidrams, Oberhof und Syrafeld. Nur mit dem Ziel vor Augen, möglichst große Einheiten schaffen zu müssen, ließ man in den ersten Planungsphasen die Stimmung in der Bevölkerung, Animositäten und Vorlieben weitgehend außer Acht. So fassten beispielsweise die Bewohner von Marbach am Walde 1849 den später nicht realisierten Beschluss, lieber mit Zwettl eine Gemeinde bilden zu wollen als – wie vorgesehen - gemeinsam mit Niederneustift, Schloß Rosenau und Schickenhof.
Diese ersten Entwürfe stießen fast durchwegs auf heftigen Widerstand, und so rang man sich von staatlicher Seite im Februar 1850 dazu durch, dem Willen der betroffenen Bevölkerung so weit wie möglich nachzukommen und auch kleine Gemeinden zuzulassen.

Ortsgemeinden, nach 1850

Ortsgemeinden, nach 1850

Die Ortsgemeinde Stadt Zwettl, die nun gebildet wurde, bestand aus der eigentlichen Stadt mit den Vorstädten Syrnau und Ledererzeil sowie den neu dazu gekommenen Katastralgemeinden Koppenzeil, Oberhof und Böhmhöf. Am 23. August 1850 trat die kurz zuvor gewählte Gemeindevertretung zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Erster Bürgermeister wurde der 1798 in Grusbach in Mähren (Hrušovany nad Jerišovkou) geborene Postmeister Franz Haunsteiner. Er war seit 1832 mit der Zwettlerin Magdalena Stift verheiratet, der Tochter des hiesigen Postmeisters Franz Stift. Haunsteiner resignierte 1857 als Bürgermeister, er starb am 4. Jänner 1861.

Franz Haunsteiner, Gemälde von Michael Reiß (?), 1806-1860, Repro: Werner Fröhlich, Zwettl

Franz Haunsteiner
Gemälde von Michael Reiß (?), 1806-1860
Repro: Werner Fröhlich, Zwettl

Die junge Gemeinde Zwettl hatte vor allem mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Immerhin war Zwettl als ein Sitz der neu geschaffenen Bezirksverwaltungs- und Justizbehörde ausersehen worden, was der Gemeinde zunächst in erster Linie nur bedeutende finanzielle Lasten einbrachte. Außerdem bereitete die Verwaltung der neuen Kommune erhebliche Schwierigkeit. Denn sowohl die Stadt als auch einige der neuen Stadtteile hatten bisher ihr eigenes Vermögen besessen und selbstständig verwaltet, und besonders die Bewohner des vorwiegend bäuerlich strukturierten Oberhofs fühlten sich in der Stadtregierung schlecht vertreten. Die Katastralgemeinde Oberhof behielt ihr Sondervermögen übrigens bis 1938.

Literatur:
Franz Bleidl, Zwettl von 1848 bis 1918. In: Hans Hakala/Walter Pongratz, Zwettl-NÖ I. Die Kuenringerstadt (1980) S 83-87.

Stephanie Brunner, Zwei Herrschaftskarten des Waldviertels. In: Eduard Stepan, Das Waldviertel, Bd. 7 (1937) S 280-299.

Helmuth Feigl, Die niederösterreichische Grundherrschaft. Vom ausgehenden Mittelalter bis zu den theresianisch-josephinischen Reformen. Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich, Band 16 (21998).

Friedel Moll, Bereits 1849: Marbach will zu Zwettl! In: Heimatkundliche Nachrichten. Beiblatt zum Amtsblatt der Bezirkshauptmannschaft Zwettl. 17. Jg., Nr. 3 (1996) S 9 f.

Friedel Moll, Historische Entwicklung des Bezirkes Zwettl. In: Werner Nikisch (Hg.), Festschrift, Bezirkshauptmannschaft Zwettl. 130 Jahre Service für den Bürger (1999) S14-18.

Albert Starzer, Die Konstituierung der Ortsgemeinden in Niederösterreich (1904).