Zwettl wird landesfürstliche Stadt

1312, nach dem Tod Leutolds I. von Kuenring, kam die Stadt Zwettl durch ein Erbabkommen in den Besitz der Liechtensteiner. Am 25. Juli 1419 verkaufte Rudolf von Liechtenstein sein „rechtes Eigen“, die Stadt Zwettl, mit allem Zubehör (Stadtrechten, Stadtgericht) dem Herzog Albrecht V. um 6.500 Pfund Wiener Pfennig. Zwettl war somit landesfürstliche Stadt geworden und gehörte ab diesem Zeitpunkt zu den sogenannten „mitleidenden Städten und Märkten“, die in der vierten Kurie des Landtags vertreten waren.

Der (nieder)österreichische Landtag setzte sich im 15. Jahrhundert aus den Vertretern folgender Stände zusammen:
Prälaten
Herren
Ritter
Bürger der landesfürstlichen Städte und Märkte (vertreten im Vierten Stand)

Die Landtage wurden grundsätzlich vom Landesfürsten einberufen. Ein kaiserliches „Ausschreiben“ teilte allen, die zur Teilnahme berechtigt waren, den Termin des nächsten Landtages mit. Nachdem sich die Ständemitglieder im großen Saal des Landhauses versammelt hatten und der Landesfürst oder sein Vertreter feierlich in den Saal geleitet worden war, wurde die landesfürstliche „Proposition“ verlesen. Sie enthielt eine Erörterung der militärischen und politischen Lage und die im einzelnen begründeten Steuerforderungen (Postulate) der Regierung. Nach der Verlesung der „Proposition“ zogen sich die Teilnehmer in die Beratungszimmer ihrer Kurien zurück und entwarfen die Kuriengutachten oder „Voten“. Auf Grund dieser „Voten“ wurde eine „Antwort“ der Stände auf die Proposition verfasst. Meist erklärten die Stände, nicht alle Forderungen des Landesfürsten erfüllen zu können. In der Regel kam es zu einem mehrmaligen Schriftwechsel zwischen den Ständen und dem Hof, bis man sich endlich auf halbem Wege einigte.
Die Steuerforderungen des Landesfürsten waren wohl der wichtigste, aber natürlich nicht der einzige Verhandlungsgegenstand der Landtage. Zum Unterschied vom heutigen Landtag war der ständische Landtag nicht zum Beschluss und zur Publizierung von Gesetzen berechtigt. Verfügungen, die den heutigen Landesgesetzen vergleichbar sind, kamen häufig so zustande, dass die Stände eine Beschwerde oder eine Petition beim Hof einreichten und auch gleich Vorschläge zur Lösung der betreffenden Frage ausarbeiteten.
Den Vierten Stand repräsentierten im 15. Jahrhundert die Vertreter folgender Städte und Märkte: Wien, Baden, Bruck an der Leitha, Drosendorf, Eggenburg, Gumpoldskirchen, Hainburg, Klosterneuburg, Korneuburg, Krems, Laa an der Thaya, Langenlois, Marchegg, Mödling, Perchtoldsdorf, Retz, Stein, Tulln, Ybbs, Waidhofen an der Thaya, Weitra und Zwettl. Drosendorf, Marchegg und Weitra haben im Laufe des 16. Jahrhunderts ihre Landstandschaft verloren, sodass schließlich Wien und 18 kleinere Städte und Märkte übrig blieben. Letztere hat man auch als den „Halben Vierten Stand“ zusammengefasst. Wien stellte nämlich die Hälfte der Vertreter der jeweiligen Ausschüsse und musste auch die Hälfte der Leistungen des Vierten Standes erbringen.
Bei den Ständen galt die Regel, dass jede ständische Kurie ein Viertel der bewilligten „Landsteuer“ zu übernehmen hatte. Als der Vierte Stand erklärte, dazu nicht in der Lage zu sein, wurde sein Anteil zwar auf ein Fünftel ermäßigt, doch verlor er seinen Sitz im Verordnetenkollegium. Die Teilnahme der Städtevertreter auf den Landtagen beschränkte sich zuletzt auf die Entgegennahme der Landtagspostulate. Gelegentlich wurden bei der Behandlung von Wirtschaftsfragen Gutachten des Vierten Standes eingeholt, aber nur selten berücksichtigt.
Die Stadt Zwettl entsandte meist den Stadtrichter, den Kämmerer und den Stadtschreiber als Vertreter zu den Landtagssitzungen. Allerdings weigerten sich die kleinen Städte (unter ihnen auch Zwettl) sehr häufig, die Kosten für die Beschickung der Landtage zu tragen, sodass im 16. Jahrhundert die Zahl der Teilnehmer – außer Wien – immer relativ klein war. An den zehn Landtagen zwischen 1520 und 1541 haben die Städte Wien, Krems, Stein sowie Eggenburg immer, Zwettl jedoch nur fünf Mal teilgenommen.

Literatur:
Karl Gutkas, Landesfürst, Landtag und Städte Niederösterreichs im 16. Jahrhundert. In: Festschrift zum hundertjährigen Bestand des Vereines für Landeskunde von Niederösterreich und Wien, 1. Bd. (= Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 36, Wien 1964) S 314.

Silvia Petrin, Die Stände des Landes Niederösterreich. (= Wissenschaftliche Schriftenreihe Niederösterreich, Bd. 64, St. Pölten 1982).

Walter Pongratz, Zwettl unter den Liechtensteinern und als landesfürstliche Stadt. In: Hans Hakala/Walter Pongratz, Zwettl-NÖ 1. Die Kuenringerstadt (Zwettl 1980) S 55.