1231 wurde bei der Niederschlagung des Ministerialenaufstandes durch Herzog Friedrich II. die Kuenringerburg von Zwettl zerstört. Die Pfarrkirche auf dem Berg hoch über der Stadt, die dem Evangelisten Johannes geweiht war, blieb aber bestehen. Nahe der Kirche entstand in den folgenden Jahren ein großer Pfarrhof, von dem heute noch bemerkenswerte Reste erhalten sind. Die Pfarre Zwettl war nämlich bis ins 15. Jahrhundert für die gesamte Region von großer Bedeutung. Hier war der Sitz des Dekanats, dessen Sprengel fast das ganze Waldviertel umfasste. Im Zwettler Pfarrhof lebten zu dieser Zeit ständig vier bis sechs Geistliche sowie das nötige Haus- und Wirtschaftspersonal.
Die Johannes-Evangelist-Kirche auf dem Berg
Bild aus: Johann Bernhard Linck, Annales Austrio-Claravallenses (Entwurf, 1725)
Original: Stiftarchiv Zwettl; Repro: Stadtarchiv Zwettl (StAZ), Sign. BA 03/12/90
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurde die in dem Pfarrhof von Zwettl wohnende Gemeinschaft von Geistlichen in ein Kollegiatstift (= eine Propstei) umgewandelt. Die Angehörigen eines solchen Stiftes waren keine Mönche, sondern Säkularkleriker (Weltpriester), die sich zu einer gemeinsamen Lebensweise („vita communis“) bekannten. Auch ihnen war - ähnlich wie den Mönchen im Kloster - das gemeinsame religiöse Leben wichtig und dieses war von kanonischen Regeln bestimmt, ein wesentlicher Schwerpunkt ihres Lebens lag aber außerhalb der klösterlichen Mauern. Zu den Hauptaufgaben der Kanoniker gehörte nämlich die Seelsorge in den umliegenden Pfarren. Sie durften außerdem Privateigentum besitzen und auch sonst waren manche Vorschriften nicht ganz so streng wie bei den Mönchen.
Pfarrer Andreas Kunigstainer
1479 wurde Andreas Königsteiner (Kunigstainer) Pfarrer in Zwettl und Dechant des großen Dekanats. Königsteiner hieß ursprünglich Swerzer (Schwerzer) und hatte sich erst in fortgeschrittenem Lebensalter dem geistlichen Stand zugewandt. Er war zunächst verheiratet gewesen und Vater einer Tochter. Erst nach dem Tod seiner Frau beschloss er Priester zu werden. Er studierte, wurde Magister der freien Künste, empfing die Priesterweihe, wurde Licentiat des päpstlichen Rechtes und Hofkaplan in Wien. 1479 erhielt er - wie bereits erwähnt - die Pfarre Zwettl. Königsteiner besaß ein beachtliches Vermögen, sowohl Bargeld als auch Grundstücke in Oberösterreich, woher er wahrscheinlich stammte. Anscheinend stand er in der besonderen Gunst Kaisers Friedrichs III., denn dieser empfahl ihn nicht nur für die Leitung der Zwettler Pfarre, er übertrug ihm außerdem die Verwaltung der Burg Engelstein und bedachte ihn mit mehreren Lehen. Auch der Gründung der Propstei Zwettl stand Friedrich III. äußerst wohlwollend gegenüber, vielleicht war er sogar der Initiator dieser Stiftung.
1483 verkaufte Andreas Königsteiner um 850 Pfund Pfennig verschiedene Güter in Oberösterreich und stellte sein Geld für die Stiftung einer Propstei in Zwettl zur Verfügung. Am 21. Jänner 1483 bestätigte der päpstliche Legat für Deutschland, Ungarn, Böhmen und Dalmatien, der Bischof von Cittá de Castello, Nuntius Bartholomäus de Marachis in Graz auf Wunsch von Kaiser Friedrich III. die Errichtung der Kollegiatsstiftung in Zwettl. Der kaiserliche Stiftsbrief wurde erst rund fünf Jahre später ausgestellt.
Die Stiftung der Propstei Zwettl
Diese Urkunde des päpstlichen Legaten, die sich heute in einer Abschrift im Stiftsarchiv Zwettl befindet, besagt, dass die bisherige Pfarrkirche „Sancti Joannis Evangelistae extra muros oppidi Zwetel“ (zum hl. Johannes dem Evangelisten außerhalb der Mauern der Stadt Zwettl) zur Förderung des Glaubens und zum Heil der Gläubigen zu einer Kollegiats- (Propstei-) Kirche erhoben wurde. Sie trug von nun an den Titel Propsteikirche „zum heiligen Erlöser im Liechtenthal“ („Collegiata Ecclesia ad Sanctum Salvatorem Clarae vallis“). Das Kapitel des neuen Kollegiatstiftes sollte aus einem Propst als Vorsteher, der das Recht hatte, die Pontifikalien (Mitra, Stab, Ring und Brustkreuz) zu gebrauchen, einem Dechant und zwölf Chorherren - zu Ehren der zwölf Apostel - bestehen. Von letzteren sollte möglichst einer Doktor der Heiligen Schrift und einer Doktor des kanonischen Rechts sein. Dadurch wollte man das Ketzertum abwehren (damit war wohl die hussitische Bewegung im benachbarten Böhmen gemeint).
Die erste Aufnahme der Kapitelmitglieder stand Königsteiner zu, später sollte die Besetzung der Propstei durch die freie Wahl der Kapitelmitglieder geschehen.
Am 13. Dezember 1487 siegelte dann Kaiser Friedrich III. in Nürnberg den Stiftbrief für die Propstei Zwettl. Er deckt sich inhaltlich in einigen Punkten mit der Urkunde des päpstlichen Legaten von 1483. Friedrich III. ernannte Königsteiner zum kaiserlichen Rat und übergab dem Kollegiatstift zur besseren Dotierung folgende Gnaden, Freiheiten und Güter:
- Die Inkorporierung (Einverleibung) der Pfarre Altpölla und ihrer „Zukirchen“ (Filial- und Tochterkirchen) in Weißenalbern, Sallingstadt, Großglobnitz, Döllersheim und Großhaselbach;
- alle bei den Pfarrkirchen Zwettl und Altpölla sowie deren „Zukirchen“ gemachten Stiftungen. Die „Zukirchen“ von Zwettl waren die Marienkirche in der Stadt (heute Stadtpfarrkirche) und die Kirchen in Großgöttfritz, Marbach am Walde, Rieggers und die St. Veits-Kapelle in Rosenau;
- die ganze Lederzeile, Teile der Koppenzeile und alle Holden zwischen der Zwettl, dem Kamp und dem Propsteiberg;
- die Gärten an und um den Berg;
- die „Brühl“ mit dem „Burgstall“ auf dem heutigen „Statzenberg“ samt Wiesen, Wald und Weiden;
- die Holden in Moidrams mit all ihren Grundstücken und dem Brunnen dort;
- die Gewässer „mitsombt den baiden wasserstraemen“ (= Zwettl und Kamp), insbesondere das Fischwasser und alle Wehren in den beiden Flüssen, sofern sie dem Landesfürsten oder der Stadt Zwettl gehört haben;
- drei Mühlen, die „Heymüll in der Lederzeil“, die „Griessmüll gegen unser lieben Frawen thor über gelegen“ und die „Gruebmüll“ bei der Brühl;
- Häuser in der Stadt: den „Hof an der Wegscheid“, in dem die Chorherren zunächst wohnten mit dem angrenzenden Haus, den Stadel und den einstigen Zehenthof der Pfarre Altpölla (alle in der heutigen Bürger- bzw. Florianigasse) und den Hof der Wurmeckerin beim Spital (heute Schulgasse 19) sowie den Hof zu St. Ulrich in Wien;
- die Verwaltung des Bürgerspitals in der Stadt, allerdings unter gewissen Bedingungen (1560 war das Spital wieder unter der Verwaltung der Stadt);
- den Drittelzehent von dem Stadtfeld;
- alle Lehensgüter der Propstei von den Herrschaften Zwettl und Weitra wurden als freies Eigen erklärt; außerdem erteilte der Kaiser die Erlaubnis, auf dem Propsteiberg eine Taverne, ein Brauhaus, Fleischbänke und ähnliches zu errichten;
- der Kaiser verlieh der Propstei auf allen ihren Gütern freies Gericht, in welchem die Amtleute zu Zwettl, Krumau am Kamp, Altpölla, Gföhl und Groß Gerungs nichts mehr zu sagen hätten;
- alljährlich am St. Michaelstag (29. 9.) sollte der kaiserliche Amtmann zu Gmunden dem Zwettler Kapitel unentgeltlich acht Dreyling Salz aus dem Salzstadel in Mauthausen zukommen lassen (1 Dreyling Salz = 1860 kg);
- in einem Umkreis von drei Meilen um Zwettl und Altpölla sollte in Hinkunft kein Kloster oder Gotteshaus mehr erbaut werden dürfen. Für all diese Gnadenbeweise bedingte sich der Kaiser einen Jahrtag zu St. Michaeli aus, an dem in der Zwettler Propsteikirche mehrere Andachten und Gottesdienste zu Ehren der heiligen Dreifaltigkeit, der Gottesmutter und aller Heiligen abgehalten werden sollten.
Das Siegel der Propstei Zwettl, 1513
Original: StAZ, Sign. 1/40
Foto: Werner Fröhlich, StAZ, Sign. BA 05/2/84
Die Propstei auf dem Berg und die Türkensteuer
Der Konvent bezog zunächst das Haus in der Stadt an der Wegscheid (heute Bürgergasse 3). Am Propsteigebäude, das - wie bereits erwähnt - bisher als Pfarrhof gedient hatte, waren anscheinend umfangreiche Umbauarbeiten nötig. Erst als diese fertig gestellt waren, übersiedelten die Geistlichen in ihr neues Haus über der Stadt, neben der ehemaligen Pfarrkirche.
Mit der Stiftung der Propstei gingen die pfarrlichen Funktionen auf die Liebfrauenkirche in der Stadt über. Der jeweilige Propst war auch Stadtpfarrer, die Pfarrkirche in der Stadt wurde von einem pröpstlichen Vikar mit besonderen Vollmachten verwaltet, der mit dem ihm unterstellten Kooperator (= Kaplan) die Hauptlast der örtlichen Seelsorge trug.
Propst Königsteiner starb 1504 oder 1505. Ihm folgte Propst Konrad Renner (1505-1510), ein Geistlicher aus Konstanz. Die Propstei war ursprünglich zwar wirtschaftlich recht gut ausgestattet worden, dennoch scheint der angestrebte Stand von 12 Klerikern nie oder nur selten erreicht worden zu sein, und im frühen 16. Jahrhundert trafen die kriegerischen Ereignisse und die mit ihnen einher gehende wirtschaftliche Not auch die Zwettler Propstei mit aller Härte. 1517 und 1525 kam es im Zwettler Raum zu Bauernunruhen, etwa zur gleichen Zeit drangen die Türken aus dem Südosten über Ungarn gegen Österreich vor. Um die leeren Kriegskassen zu füllen, wurde die Türkensteuer eingeführt. Der nachmalige Bischof von Wien, Johann Faber, hatte dazu den Grundsatz aufgestellt: Es sei besser, einen Teil der Kirchengüter zur Rettung des christlichen Glaubens gegen die Türken zu veräußern, als dass der „Erbfeind der Christenheit“ Gotteshäuser und Klöster zerstöre. So wurden alle kirchlichen Einrichtungen verpflichtet ein Viertel ihres Besitzes zu veräußern. Für die Propstei Zwettl betrug diese Viertel-Steuer 652 Pfund Pfennig. Propst Johann Graf (1510-1532), der dritte Propst von Zwettl, wehrte sich zwar gegen diese Vorschreibung, hatte aber mit seinen Protesten und den Hinweisen auf die schlechte Wirtschaftslage der Stiftung keinen Erfolg. Die Propstei Zwettl musste 1530 einen bedeutenden Teil ihrer Besitzungen veräußern (darunter vor allem Güter im Raum Altpölla, aber auch Gut und Dorf Moidrams) um die Steuer bezahlen zu können. Als Käufer des Gutes Moidrams trat Virgil von Wasserburg (Virgilius Wasserburger) auf. Er entstammte einer Augsburger Familie. Er erwarb auch in der Stadt Zwettl selbst einen Freihof, den später nach ihm benannten Wasserburgerhof beim Oberen Tor, gegenüber dem Pernerstorferhof. Wenig später musste die Propstei weiters den Wurmeckerhof in der Poschengasse (heute Schulgasse) verkaufen.
Damit war die Propstei Zwettl in ihrer Wirtschaftskraft schwer geschädigt. Die folgenden Jahre und Jahrzehnte brachten mit Reformation, Gegenreformation und Dreißigjährigem Krieg weitere Unruhen und bittere Not. Erst nach dem großen Krieg erholte sich die Propstei wirtschaftlich und personell. Die Zahl der Kleriker stieg in der Barockzeit deutlich an und das Kapitel scheint kurzfristig sogar vollzählig gewesen zu sein.
Das Siegel des Kapitels der Propstei Zwettl, 1513
Original: StAZ, Sign. 1/40
Foto: Werner Fröhlich, StAZ, Sign. BA 05/2/84
Literatur:
Anton Erdinger, Beiträge zur Geschichte der Propstei Zwettl. Geschichtliche Beilagen zum St. Pöltner Diöcesanblatt (St. Pölten 1903) S 311-370.
Hans Hakala, Sehenswertes Zwettl (= Zwettler Zeitzeichen 4, Zwettl 2000) S 47-49.
Thomas Kühtreiber/Roman Zehetmayer, Zur Geschichte des Propsteiberges (= Zwettler Zeitzeichen 2, Zwettl 1999).
Josef Lenzenweger, Die Pfarre Altpölla von 1300-1519. In: Friedrich B. Polleroß (Hg.), Geschichte der Pfarre Altpölla, 1132-1982 (Altpölla 1982) S 37-56.
Alois Plesser, Stadt Zwettl, Pfarre und Propstei. In: Geschichtliche Beilagen zum St. Pöltner Diözesan-Blatt. XIV. Band (St. Pölten 1954) S 101-130.
Walter Pongratz/Wolfgang Katzenschlager, Die Gründung der Propstei. In: Hans Hakala/Walter Pongratz, Zwettl-NÖ I. Die Kuenringerstadt (Zwettl 1980) S 187-189.