Als die Hussiten am Neujahrstag 1427 Zwettl abermals vergeblich belagerten, zerstören sie alles, was sich außerhalb der schützenden Stadtmauern befand, so auch das Bürgerspital und die zu diesem gehörende, dem heiligen Martin geweihte Kapelle. Beide waren damals vor dem Unteren (Kremser) Tor gelegen.
Die Stiftungen, die mit dem Spital verbunden waren, blieben auch nach dessen Zerstörung weiter bestehen, und wahrscheinlich brachte man die verarmten Bürgerinnen und Bürger einstweilen provisorisch in der Stadt unter, denn 1435 wird in einem Weitraer Dokument der Zwettler Spitalsbewohner (oder Spitalmeister ?) Georg Leonis genannt. Jedenfalls bemühte sich die Zwettler Bürgerschaft nach den verheerenden Kriegsereignissen das Spital neu zu errichten, nun aber an einem sicheren Platz innerhalb der Stadtmauern.
Am 27. Februar 1438 kauften die Zwettler Bürger von Wolfgang Kürenbach (Chwerenbach), Pfleger zu Lichtenfels, und von seiner Gattin Wilburg einen Hof am Neuen Markt beim Oberhofer Tor, nahe der Stadtmauer, mit einer dazugehörigen Wiese und einem Baumgarten um 60 Pfund Wiener Pfennige. Dort errichteten sie in Folge das neue Spital und eine Kirche, die wieder dem hl. Martin geweiht wurde.
Bei den archäologischen Untersuchungen, die 1998 und 2000 auf dem Areal des Bürgerspitals durchgeführt wurden, fand man Fundamente, einen Abwasserkanal und Reste einer mittelalterlichen Warmluftheizung, die noch zu dem herrschaftlichen Freihof oder bereits zu dem nach 1438 errichteten Bürgerspital gehörten.
Spätestens 1448 war der Neubau fertig gestellt, denn am 4. Februar dieses Jahres beurkundete der Zwettler Pfarrer und Dechant Georg Thalhaimer die Stiftung des Spitals in der Stadt, und in einer Urkunde vom 4. März 1448 bestätigte Bischof Leonhard von Passau die Gründung des neuen Spitals in Zwettl, seine Dotierung sowie die der dazu gestifteten Messe (Stadtarchiv Zwettl, Sign. 1/24).
Pfarrer Georg Thalhaimer hielt in der Urkunde vom 4. Februar 1448 (Stadtarchiv Zwettl, Sign. 1/23) fest, dass die Zwettler Bürger vor Zeiten bereits außerhalb der Stadt ein St. Martinsspital gestiftet und dotiert hatten, dieses aber „von den unglaubhaffttigen Veindten abgeprochen und nu durich die Burger zu Zwetl in die Statt Zwetl gelegt und augepauet“ worden sei. Er bekräftigt weiters die Stiftung einer ewigen Frühmesse und eines Kaplans bei der Martinskirche, wie sie bereits 1418 von Pfarrer Wilhelm von Frauenberg, Chorherr zu Passau und Freising, vorgenommen worden war. Der Kaplan sollte nun täglich (mit Ausnahme des Sonntags) in der St. Martinskirche eine Frühmesse halten. Am Martins- und am Kirchweihtag musste er außerdem eine Vesper singen. Für das Amt des Kaplans sollten die Bürger einen geeigneten Weltpriester aussuchen und den Stadtpfarrer bitten, diesen dem Bischöflichen Konsistorium in Passau zu präsentieren. Der Kaplan musste auch als Seelsorger in der Pfarre tätig sein und an Prozessionen teilnehmen. Seine Wohnung bekam er im Spital. Es wurde ihm verboten, andere Einkünfte anzunehmen als die aus dem Spital. Die Urkunde enthält weiters ausführliche Angaben über den Besitz des Spitals, seine Einkünfte und finanziellen Verpflichtungen.
Das Siegel des Zwettler Pfarrers Georg Thalhaimer, 4. 2. 1448
Ob in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts tatsächlich eigene Kapläne für die Martinskirche eingesetzt und vom Bürgerspital besoldet wurden (wie in den Urkunden von 1418 und 1448 erwähnt), lässt sich nicht sagen. Eigene Priester, die im Bürgerspital lebten und dort für die Seelsorge zuständig waren, lassen sich in den derzeit bekannten Quellen nur am Beginn des 15. und im frühen 16. Jahrhundert nachweisen. Im 17. und 18. Jahrhundert versahen der jeweilige Pfarrvikar von Zwettl oder einer seiner Kooperatoren (Kapläne) neben ihrer Tätigkeit in der Pfarre dort die Gottesdienste und betreuten die Spitalsbewohner. Erst ab 1775 können wieder Benefiziaten nachgewiesen werden, die im Bürgerspital lebten und wirkten. Ihre Reihe endet mit Alois Huber im Jahr 1938. Heute wird die Martinskirche durch die Stadtpfarre Zwettl mitbetreut. An jedem Dienstag findet hier eine heilige Messe statt.
Die Martinskirche (Bürgerspitalkirche) stammt in ihrer heutigen Gestalt im Wesentlichen noch aus der Zeit von 1438-48. Das Langhaus war damals allerdings flach gedeckt, das bestehende Kreuzgratgewölbe mit den profilierten Stuckrippen wurde erst 1603 eingezogen. Auch die heutige Einrichtung ist (mit Ausnahme der spätgotischen Madonna) deutlich jüngeren Datums.
Das Bürgerspital besteht seit 1448 bis heute ununterbrochen am selben Platz. In ihm kamen früher verarmte, alte oder kranke Bürgerinnen und Bürger der Stadt Zwettl unter. Meist bot es nur für zehn bis zwölf Personen Unterkunft und Verpflegung. Arme Bürger, für die im Haus kein Platz war, die daher in der Stadt eine andere Bleibe finden mussten, erhielten zumindest seit Beginn des 17. Jahrhunderts vom Bürgerspital regelmäßig etwas Geld oder Nahrungsmittel zu ihrer Unterstützung. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Bürgerspital so weit ausgebaut und wirtschaftlich dotiert, dass es eine größere Zahl von alten oder verarmten Menschen aufnehmen konnte.
Bürgerspital und Martinskirche
Ausschnitt aus einer Ansichtskarte von Eduard Mader, um 1905
Stadtarchiv Zwettl, Sign. BA 03/C/32
1938 lösten die neuen Machthaber die Stiftung „Bürgerspitalfonds Zwettl“ entschädigungslos auf. Das Vermögen wurde der Stadtgemeinde Zwettl mit der Auflage zugewiesen, es für „Zwecke der zusätzlichen Fürsorge für bedürftige Volksgenossen“ zu verwenden. Das Bürgerheim blieb aber als allgemeines Pflegeheim für alte und gebrechliche Personen bestehen. Da die Gemeinde den Stiftungsbesitz aber auch weiterhin streng getrennt vom Gemeindevermögen verwaltete, konnte die Stiftung 1945 ohne große Probleme wieder errichtet und ihr das Vermögen übergeben werden. In den letzten Jahren hat sich aus dem einst kleinen Bürgerspital, in dem die Armen nur notdürftig versorgt werden konnten, das moderne Seniorenzentrum St. Martin entwickelt, das von der Zwettler Bürgerstiftung getragen wird. Es ist das eines der modernsten Seniorenwohnheime Niederösterreichs und wird nach Fertigstellung (Mitte 2005) über 110 Betten und alle notwendigen Pflegeeinrichtungen verfügen.
Friedel Moll, 1/2004
Literatur:
Herbert Berndl-Forstner/Friedel Moll, Kirchenführer Zwettl-NÖ (Zwettl 2000) S 50-57.
Bürgerstiftung St. Martin (Hg.), 550 Jahre Martinskirche Zwettl (Bürgerspitalkirche) 1448-1998. Festschrift (Zwettl 1998).
Nikolaus Hofer, Archäologische Grabungen auf dem Areal der Bürgerspitalsstiftung in Zwettl, NÖ - ein vorläufiges Resümee. In: Das Waldviertel, 52. Jg., 4/2003 (Horn 2003) S 401-409. [http://www.daswaldviertel.at/]
Friedel Moll, Das Bürgerspital. In: Friedel Moll/Werner Fröhlich, Zwettler Stadtgeschichten, Alltagsleben in vergangener Zeit, Band 2 (Zwettl 2002) S 96-102. [http://www.buch-schulmeister.at/]
Alois Plesser, Stadt Zwettl, Bürgerspital mit Kirche zum hl. Martin. Geschichtliche Beilagen zum St. Pöltner Diözesan-Blatt, Bd. 14 (St. Pölten 1954) S 130-133.
Ehrenfried Teufl, Die Folgen der Hussitenkriege und der Wiederaufbau. In: Hans Hakala/Walter Pongratz, Zwettl-NÖ I, Die Kuenringerstadt (Zwettl 1980) S 482-484.
Karl Uhlirz, Das Archiv der l. f. Stadt Zwettl (Zwettl 1895) S 18. Zurück