Den Anschluss nicht verpassen!
Schon 1862, als eine Bahnlinie zwischen Stockerau und Budweis geplant wurde, schloss sich die Stadt Zwettl der schriftlichen Eingabe mehrerer Gemeinden an die Statthalterei an, mit der Wünsche für den zukünftigen Trassenverlauf deponiert wurden. Die Eisenbahn sollte demnach von Wien bzw. Stockerau kommend durch das untere Kamptal und das Taffatal bis Horn führen und dann weiter über Neupölla, Zwettl und Weitra nach Budweis gelangen. Im November 1863 erfolgte eine weiterer schriftlicher Vorstoß in dieser Sache, an dem sich Zwettl abermals beteiligte, diesmal an die Direktion der Kaiser Ferdinands-Nordbahn, die für die Planungsarbeiten verantwortlich war. Die beteiligten Gemeinden (wie zum Beispiel Weitra, Horn, Gars, Zöbing, Langenlois, Hadersdorf und eben Zwettl) wollten damit eine für sie optimale Streckenführung und die Errichtung von Eisenbahnstationen in ihrem Ortsgebiet erreichen.
Drei Jahre später entstand die Kaiser-Franz-Josefs-Bahn, bei deren Trassenführung aber bekanntlich die Wünsch der oben erwähnten Gemeinden nicht berücksichtigt wurden. Die Zwettler setzten sich nun – quasi als Minimallösung - für einen „Perron- und Lastenbahnhof“ Schwarzenau ein. Als Alternative war Vitis zur Diskussion gestanden. 1871 erhielt die Station Schwarzenau den Namen Schwarzenau-Zwettl, um anzudeuten, dass Zwettl da irgendwo in der Nähe liegen müsse.
In den folgenden Jahren wurden verschiedene Bahnprojekte entwickelt, und Zwettl bemühte sich nach Kräften, jene Trassenführungen aktiv zu unterstützen, die für die Stadt interessant erschienen. 1884 genehmigte der Gemeindeausschuss (Gemeinderat) von Zwettl sogar 5.000 Gulden, um die Vorerhebungen für eine Bahnlinie von Gmünd über Zwettl nach Krems finanzieren zu können, doch auch dieses Projekte kam über ein erstes Planungsstadium nicht hinaus.
1892 unternahm die Stadt Zwettl einen neuerlichen Vorstoß, um zu einem Eisenbahnanschluss zu gelangen. Der Gemeindeausschuss wählte ein eigenes „Eisenbahn-Comité“, an dessen Spitze die Gemeinderäte Rudolf Schwarz und Franz Beydi standen. Die beiden Herrn suchten Kontakt zu staatlichen und militärischen Stellen in Wien, um Rat und Unterstützung, vor allem aber Geld für ein für Zwettl sinnvolles Eisenbahnprojekt zu erhalten. Gute Ratschläge und Versprechen für wohlwollende Unterstützung gab es genug, aber keine Geldmittel. So beschlossen damals die Zwettler Gemeindevertreter selbst initiativ zu werden. Man entschied sich für eine Trasse Iglau (Jihlava) – Zwettl – Donau, da auch hohe militärische Stellen ihr Interesse an dieser Streckenführung bekundet hatten. Auch war bereits im August 1891 die Lokalbahn Schwarzenau – Waidhofen/Thaya eröffnet worden, immerhin ein mögliches Teilstück der projektierten Linie. Diese Bahnlinie war von der Gemeinde Waidhofen und dem örtlichen Sparkassenverein finanziert worden.
Zwettl ergreift die Initiative
Da, wie bereits erwähnt, von staatlichen Stellen keine Geldmittel für die notwendigen Vorarbeiten zu erwarten waren, beschloss der Zwettler Gemeindeausschuss einstimmig, den Bahnbau soweit wie möglich selbst zu finanzieren und bemühte sich auch gleich um die Vorkonzession für die Errichtung der Linie. Dann bereisten die Gemeindevertreter die geplante Trasse und versuchten, Anrainergemeinden, Großgrundbesitzer und Industrielle für das Projekt zu gewinnen. Die meisten Gemeinden waren in Hinblick auf die hohen Kosten aber nur bedingt interessiert, sodass Zwettl mehr als zwei Drittel der Planungskosten selbst tragen musste.
Die eifrigsten und beständigsten Unterstützer des Zwettler Eisenbahnprojekts waren die Stadt Zlabings (Slavonice) in Böhmen, Franz Graf Falkenhayn als Besitzer der Herrschaft Ottenschlag und Baron Emil Cherteck, der Direktor der Habsburgischen Familien-Fondsgüter in Gutenbrunn im Weinsberger Wald.
Am 26. August 1892 hatte die Stadt Zwettl die Vorkonzession zur Errichtung der Bahnlinie Iglau – Zwettl – Melk bekommen, und im September begannen bereits die Trassierungsarbeiten. Über Intervention der k. k. General-Inspection der österreichischen Eisenbahnen wurde die Streckenführung dahingehend abgeändert, dass nicht Melk sondern Amstetten Endpunkt der Bahnlinie sein sollte. Im Oktober 1893 war dann das gesamte Generalprojekt der etwa 210 Kilometer langen Bahnlinie Amstetten – Zwettl – Iglau fertiggestellt.
Die Zwettler waren von Anfang an der Meinung gewesen, dass die gesamte Bahnstrecke möglichst in einem Zug gebaut werden müsse. Im Laufe der langwierigen Verhandlungen stellte sich aber immer deutlicher heraus, dass mit staatlichen Mitteln nur in sehr begrenztem Umfang zu rechnen sein würde. Man musste also versuchen, den Bahnbau mit Privatkapital über Aktiengesellschaften zu finanzieren. Auch zeigte sich das Handelsministerium plötzlich eher geneigt, den Bau von kurzen Lokalbahnen zu bewilligen als den von Durchzugs- oder Verbindungslinien. So entschloss man sich in Zwettl, mit jenem Teilstück des Gesamtsprojekts zu beginnen, an dem die Stadt das größte Interesse hatte und das auch am ehesten finanziert werden konnte. Man entschied sich also, mit dem Bau der Bahnlinie Schwarzenau – Zwettl zu beginnen, um in weiterer Folge möglichst den gänzlichen Ausbau der Verbindungsbahn Iglau – Amstetten zu betreiben.
Für die Finanzierung waren langwierige und schwierige Vorarbeiten und Verhandlungen nötig. Eine Aktiengesellschaft musste gegründet werden, wofür staatliche Zinsgarantien, finanzielle Beteiligungen des Landes usw. notwendig waren. Aber erst die Opferbereitschaft der Bevölkerung und vor allem das große Engagement der örtlichen Sparkasse machten die Finanzierung des Eisenbahnbaues möglich. Letztlich kaufte das Land Niederösterreich Stammaktien im Wert von 88.000 Gulden, die Sparkasse der landesfürstlichen Stadt Zwettl solche um 200.000 und Privatpersonen aus Zwettl und Umgebung um 161.000 Gulden. Der Staat übernahm eine 4-prozentige Zinsengarantie für 900.000 Gulden.
Aktie der Lokalbahn Schwarzenau – Zwettl über 200 Gulden
(Stadtarchiv Zwettl, Kart. 189)
Kaiser Franz Josef stimmt zu
Am 22. Oktober 1894 erteilte Kaiser Franz Josef der Stadt Zwettl die Konzession zum Bau und Betrieb der Bahn. Die Zwettler Gemeindevertreter rechneten fest damit, dass die Wiener Firma Ronchetti und Rentmeister mit den Bauarbeiten betraut werden würde, hatte man mit ihr bei den Vorarbeiten doch schon recht gute Erfahrungen gemacht. Außerdem hatten Ronchetti und Rentmeister der Stadt Zwettl mit einem Darlehen von 50 000 Gulden unter die Arme gegriffen. Entsprechend groß war also die Enttäuschung der Zwettler, als von Seiten des Handelsministeriums das Projekt öffentlich ausgeschrieben und die Baufirma Fröhlich und Leitner als Bestbieter damit betraut wurde.
Spatenstich zum Bau der Bahnlinie Schwarzenau-Zwettl
(Stadtarchiv Zwettl, Sign. BA 04/2/76)
Am 11. Mai 1895 fand in Zwettl endlich die Spatenstichfeier statt, bei der Bezirkshauptmann Dr. Viktor Pribyl die Festrede hielt. Zahlreiche - vorwiegend italienische - Bauarbeiter kamen bei diesem großen Projekt zum Einsatz.
Am 8. Oktober 1895 fand in Wien die konstituierende Sitzung der „Actiengesellschaft Localbahn Schwarzenau – Zwettl“ statt. Dem Verwaltungsrat gehörten unter anderem an: Abt Stephan Rößler aus Stift Zwettl, Dr. Moriz Weitlof als Vertreter des n. ö. Landesausschusses, Bürgermeister Franz Forstreiter und die Zwettler Gemeinderäte Franz Beydi, Rudolf Schwarz und Josef Feucht. In der Folge übernahm die Aktiengesellschaft die Leitung der Bauarbeiten und des Bahnbetriebes.
Am 17. Mai 1895 starteten Vertreter der Stadt Iglau einen neuen Versuch, den Ausbau der gesamten Bahnstrecke doch noch zu realisieren. Sie luden zu diesem Zweck die Vertreter der an der projektierten Bahnstrecke liegenden Gemeinden zu einer gemeinsamen Vorsprache im Handels- und Finanzministerium sowie beim Ministerpräsidenten ein. Auch Vertreter der Stadt Zwettl nahmen daran teil. Es zeichnete sich ab, dass zumindest das nördliche Teilstück von Mähren bis Niederösterreich in absehbarer Zeit in Angriff genommen werden könnte. Allerdings wurde die betroffene Bevölkerung aufgerufen, zuerst finanzielle Leistungen zu erbringen, ähnlich wie es in Waidhofen und Zwettl geschehen war. In Zlabings und Umgebung beschritt man diesen Weg dann auch.
In der Stadt Zwettl selbst waren für der Errichtung der Bahn umfangreiche Bauarbeiten notwendig geworden. Im Ortsteil Oberhof entstand am Hang über dem Gradnitztal der Bahnhof mit allen erforderlichen Nebengebäuden. Er war zunächst Endstation dieser Bahnlinie, die in Schwarzenau von der Kaiser-Franz-Josefs-Bahn abzweigte. Optimisten waren damals noch voll Zuversicht, dass die Bahnlinie in absehbarer Zeit Iglau und Amstetten, also die Nordbahn mit der Westbahn, verbinden werde. Der alte Zwettler Stadtgraben zwischen Stadtmauer und Kesselboden wurde zugeschüttet, und an seiner Stelle legte man die Bahnhofstraße an.
Die Eröffnung der Eisenbahnlinie Schwarzenau - Zwettl
Dieser 4. Juli 1896, ein Samstag, an dem die neue Lokalbahn Schwarzenau – Zwettl eröffnet werden sollte, zeigte sich äußerst unfreundlich, kalt und regnerisch. Für den Vorabend war ein Zapfenstreich der örtlichen Musikkapelle Josef Müller mit einem Umzug durch die Stadt und die Vorstädte geplant gewesen. Dieser Umzug und das anschließend vorgesehene Gartenkonzert im Gasthof des Julius Thum in der Syrnau (Kremser Straße 1, heute Stadt Pub Löffler) dürften der schlechten Witterung zum Opfer gefallen sein. Am 4. Juli weckten dann um 5.00 Uhr in der Früh Böllerschüsse die Zwettler. Um 9.00 Uhr fand in der Stadtpfarrkirche ein Dankgottesdienst statt, zelebriert von Abt Stephan Rößler.
Trotz des schlechten Wetters waren die Häuser der Stadt mit schwarz-gelben und rot-weißen Fahnen und Wimpeln, mit Kränzen und frischem Grün geschmückt. Besonders die Häuser an der Landstraße, denn durch sie sollte sich ja der Festzug in die Stadt bewegen. (Anmerkung: Schwarz und Gold bzw. Gelb waren die Farben der Habsburger. Bis in die 1960er Jahre galten Rot und Weiß als die Stadtfarben von Zwettl.)
Knapp vor 12 Uhr zogen die Zwettler Vereine, die Festgäste und die Schuljugend (der Tag war schulfrei gegeben worden), angeführt von der Musikkapelle Müller, zum festliche geschmückten Bahnhof. Abt Stephan Rößler segnete das neue Bahnhofsgebäude. Nach 13.00 Uhr fuhr der Zug mit den Ehrengästen in Zwettl ein. In diesem Moment feuerten zwei Kanonen, die am Bahndamm aufgestellt worden waren, Salutschüsse ab. Diese Kanonen gehörten dem Stift Zwettl, die Stadt hatte sie für diesen Anlass ausgeliehen.
Bahnhof Zwettl, 1896
(„Zwettl 1896“, S 67)
Dieser Zug mit den Ehrengästen war in Schwarzenau um 11.14 Uhr abgefahren. In allen Stationen und Haltestellen, durch die er kam, wurde er von den örtlichen Gemeindevertretern, der Feuerwehr und der Schuljugend freudig empfangen. Die Stationsgebäude waren beflaggt und geschmückt. In Zwettl begrüßte Bürgermeister Franz Forstreiter die aus Schwarzenau angereisten Ehrengäste, unter ihnen Eisenbahnminister Emil Ritter v. Guttenberg, Statthalter Erich Graf Kielmannsegg und Sektionschef Dr. Heinrich Wittek. Dazu spielte die Militärmusikkapelle des k. u. k. Infanterie-Regiments Nr. 11 „Georg Prinz von Sachsen“ aus Budweis.
Während der Feierlichkeiten heiterte sich der trübe Himmel etwas auf, und der Festzug bewegte sich in das Stadtzentrum, wo auf dem Dreifaltigkeitsplatz die Musikkapelle Müller aufspielte. Hier war zum ersten Mal der von Kapellmeister Josef Müller für diesen Anlass komponierte Festmarsch öffentlich zu hören, den der Komponist der „löblichen Gemeinderepräsentanz der landesfürstlichen Stadt Zwettl“ gewidmet hatte. Auch ein eigenes Festgedicht war für diese Eröffnungsfeier verfasst worden. Autor war Bürgerschullehrer Franz Langauer, und Fräulein Minna Habl durfte es öffentlich vortragen. Um 14.00 Uhr fand im Saal des Hotels Sallmayer (Hauptplatz 7, heute Demal bzw. Volksbank) für geladene Gäste ein Bankett statt, das die Militärkapelle mit Tafelmusik untermalte. Die Ehrengäste hatten bereits mit der Einladung zu dieser Veranstaltung ein Exemplar des Buches „Zwettl 1896“ erhalten. Es war von der Gemeinde finanziert und herausgegeben worden, mehrere Autoren wie Pater Benedict Hammerl, der Gemeindesekretär Karl Ruckendorfer und der Lehrer Josef Traxler hatten es verfasst.
Festprogramm und Eintrittskarten zur Eröffnungsfeier am 3. Juli 1896
(Stadtarchiv Zwettl, Kart. 86)
Das für den Nachmittag im Kamptal geplante Volksfest konnte wegen der schlechten Witterung nicht abgehalten werden. Statt dessen fanden sich zahlreiche Menschen im Saal des Gasthauses „Zur Linde“ (Neuer Markt 18, heute A&O Realmarkt Kastner) ein, wo die Musikkapelle Müller aufspielte. Am Abend fand um 21.00 Uhr dann noch ein Festball im Café Heiderer (Landstraße 1, heute Café Süd) statt, zu dem wieder die Militärmusikkapelle aus Budweis spielte.
Mit dieser Bahnverbindung hatte Zwettl Anschluss an die „große, weite Welt“ gefunden. Zunächst verließen täglich drei Züge den Bahnhof Zwettl in Richtung Schwarzenau und zwar um 02:50, 07:10 und 15:10 Uhr, während um 06:10, 12.40 und 19:20 Uhr Personenzüge aus Schwarzenau hier eintrafen. Für die Strecke Zwettl – Schwarzenau benötigte der Zug im Jahr 1896 exakt 1 Stunde und 20 Minuten.
Friedel Moll, Juni 2004
Literatur:
100 Jahre Lokalbahn Schwarzenau – Zwettl. 90 Jahre Lokalbahn Zwettl – Martinsberg/Gutenbrunn (Zwettl 1996).
Ernst Gratzl, Entstehungsgeschichte der Lokalbahn, in: E. Grießler, 80 Jahre Zwettl - Schwarzenau, 70 Jahre Zwettl – Martinsberg-Gutenbrunn. Festschrift anlässlich der Jubiläen (Wien o. J. [1976]) S 23-30.
Josef Leutgeb, Die Zwettler Lokalbahn, in: Hans Hakala/Walter Pongratz, Zwettl-NÖ I. Die Kuenringerstadt (Zwettl 1980) S 440-445.
Karl Ruckendorfer, Entstehungsgeschichte der Localbahn Schwarzenau – Zwettl, in: Zwettl 1896. Festschrift aus Anlass der Eröffnung der Localbahn Schwarzenau – Zwettl und zur Feier der Jubiläen der Sparcasse und der Volks- und Bürgerschule Zwettl (Zwettl 1896) S 67-78.
Josef Traxler, Stadt Zwettl und nächste Umgebung (Zwettl 1906) S 103-106.
Quellen:
Stadtarchiv Zwettl (StAZ), Kart. 62, Nr.420, Eingabe vom 24. September 1862; Kart. 64, Nr. 400, Schreiben der Direktion der Kaiser-Ferd.-Nordbahn vom 10. 11. 1863; Kart. 82, Nr. 249/1890, Nr. 321/1890, Nr. 594/1890; Kart. 86, Nr. 311/1896, Bahneröffnungsfestlichkeiten; Kart. 112, Eisenbahnbau 1892-1904; Kart. 189, Eisenbahn; Kart. 222, Eisenbahn; StAZ, Gemeinderatsprotokolle, Sign. 2/21, Plenarversammlung vom 19. Februar 1864, Punkt 6 der Tagesordnung.
Zwettler Zeitung, Nr. 10 vom 18. Wonnemond [Mai] 1895, S 39 sowie Nr. 13 vom 4. Heumond [Juli] 1896 und Nr. 14 vom 18. Heumond [Juli] 1896.