In einer Urkunde von 1256, die sich im Stiftsarchiv Zwettl befindet, verglich sich Euphemia von Kuenring-Pottendorf nach einem Erbschaftsstreit mit dem Kloster und verzichtete auf das Dorf Oberstrahlbach.
In dieser Urkunde wird unter den Zeugen mit Leopold Pochsfuß erstmals ein Stadtrichter von Zwettl genannt. Er war Angehöriger einer jener Kuenringischen Dienstmannenfamilien, die im Raum Zwettl begütert waren, in der Stadt selbst Häuser besaßen und in der Folge über mehrere Jahrzehnte die Stadtrichter stellten. Neben ihm werden in der Urkunde als „advocati“ die Brüder Dietrich und Wernhard aus Zwettl genannt. Welche Funktion diese advocati inne hatten, ist bis heute nicht geklärt.
Der Stadtrichter war der Vertreter des Stadt- und Gerichtsherrn. Im Mittelalter wurde er häufig auch Amtmann oder Hauptmann genannt. Er war als Beauftragter des Stadtherrn vor allem Befehlshaber der waffenfähigen Bürgerschaft. Daneben musste der Stadtrichter Aufgaben in der Verwaltung und natürlich besonders in der Rechtspflege wahrnehmen. Er hatte in Abwesenheit des Gerichtsherrn Klagen und Anzeigen entgegenzunehmen, Untersuchungen anzuordnen und durchzuführen, Gerichtsverhandlungen zu leiten und für die Exekution des Urteils zu sorgen. Im 13. Jahrhundert hatten die Kuenringer die Herrschaftsrechte in Zwettl inne, später waren es die Liechtensteiner, und 1419 wurde Zwettl landesfürstlich. Der Landesherr verpachtete in der Folge seine Rechte aber immer wieder an vermögende Adelige. 1620 konnten die Zwettler Bürger dann diese „landesfürstlichen Ämter“ erwerben und dadurch einen gewissen Grad an wirtschaftlicher Selbstständigkeit erreichen.
Im 16. Jahrhundert wurde der Zwettler Stadtrichter durch die Bürger - meist für zwei Jahre - gewählt. Die Wahl fand immer am Stefanitag in Anwesenheit eines kaiserlichen Wahlkommissars statt. Es gab in der Regel vier Kandidaten, zwei aus dem Rat und zwei aus der Bürgerschaft. Im 16. Jahrhundert war der gewählte Stadtrichter von Zwettl zugleich auch Landgerichtsverwalter des großen, 78 Dörfer und Einschichten umfassenden, Zwettler Landgerichts. Die Wahl von Richter und Rat musste vom Landesfürsten jedes Mal bestätigt werden, was meist erst mit großer Verspätung geschah. Ab dem 18. Jahrhundert griff der Landesfürst immer stärker in die städtische Verwaltung ein.
Dem Zwettler Stadtrichter stand spätestens seit dem frühen 14. Jahrhundert der Rat zur Seite, der meist aus zwölf Bürgern bestand, bei Gerichtsverhandlungen als Schöffenkollegium fungierte, in Gemeindeangelegenheiten beriet und Beschlüsse fasste. In der frühen Neuzeit waren es vor allem Aufgaben der Gemeindeverwaltung, die Richter und Rat der Stadt beschäftigten. Sie hatten für den „Stadtfrieden“ und die „gute Ordnung“ zu sorgen, sich um die Finanzen der Stadt zu kümmern, die städtischen Ämter zu verwalten, in Markt- und Preisangelegenheiten regelnd einzugreifen usw. Mit der „Gaisruck’schen Instruktion“ grifft der Staat 1746 auch in die Verwaltung der landesfürstlichen Stadt Zwettl massiv ein, indem er genaue Richtlinien und Anweisungen erteilte, wie die städtische Verwaltung zu agieren habe und wie die finanziellen Angelegenheiten zu regeln seien. Unter anderem wurde damit die Besoldung des Stadtrichters und der übrigen Amtsträger festgelegt. Das Hofdekret Kaiser Josefs II. vom 24. Februar 1785 setzte in ganz Österreich als Stadtregierung die „regulierten Magistrate“ ein. An die Stelle des Stadtrichters trat nun der Bürgermeister, der mit drei Ratsmännern, einem Syndikus und dem nötigen Hilfspersonal die Stadtverwaltung bildete. Der Nadlermeister Carl Hammerer war daher nicht nur der letzte Stadtrichter von Zwettl (seit 1776), sondern ab 1785 auch der erste Bürgermeister dieser Stadt.
F. Moll, Mai 2006