Mirjam, Philipp und Heinrich Fränkel

Am 1. Oktober 1924 nahm der Rechtsanwalt Dr. Philipp Fränkel in Zwettl, im Haus Hamerlingstraße 4, seine Tätigkeit auf. Er wurde am 29. September 1883 in Boryslaw in Polen geboren. Seine Gattin Mirjam, geborene Lam, geboren am 30. April 1889, kam ebenfalls aus diesem südwestlich von Warschau gelegenen Ort. Der Ehe entstammte der 1927 in Wien geborene Sohn Heinrich, der in Zwettl die öffentliche Volksschule (Schulgasse 24) besuchte und in den dortigen Unterlagen als fleißiger, stiller, aber recht kränklicher Schüler beschrieben wird, dessen Eltern sehr schulfreundlich eingestellt und am Fortkommen ihres Sohnes besonders interessiert waren.[1]

Die Fränkels wohnten zunächst im Haus von Viktoria Autengruber, Hamerlingstraße 4, wo sich auch die Rechtsanwaltskanzlei befand. 1926 verlegten sie die Wohnung in das Haus Sparkassenplatz 3, zu Familie Schidloff.[2]

Mit Dekret vom 28. Mai 1938 wurde Dr. Philipp Fränkel, so wie allen anderen jüdischen Anwälten auch, die Berufsausübung gemäß § 1 der Verordnung über Angelegenheiten der Rechtsanwälte verboten. In der für Juden verpflichtenden Vermögensanmeldung mit Stichtag 27. April 1938 gibt er zunächst an, ein Vermögen von insgesamt rund 7.400 RM zu besitzen. Darin waren aber auch großteils wohl uneinbringliche Forderungen an ehemalige Klienten in der Höhe von rund 1.800 RM und zwei Lebensversicherungen mit einem Gesamtwert von rund 2.800 RM inbegriffen. Diese Versicherungen erwiesen sich als völlig wertlos, da laut Bescheid der Österreichischen Versicherungs AG vom 9. November 1938 an Philipp Fränkel sowohl Belehnung als auch Rückkauf gesetzlich unzulässig waren. Die neuerliche Aufstellung vom 12. November 1938 ergab dann ein Gesamtvermögen von 1.228,76 RM für die Familie Dr. Fränkel. Ein Klavier, welches Fränkel im Juli 1938 mit 300 RM bewertet hatte, konnte er im Dezember in Zwettl nur um 168 RM verkaufen.[3]

Am 20. Dezember 1938 stellte das Bürgermeisteramt Zwettl für Dr. Philipp Fränkel, seine Frau Mirjam und den damals knapp zwölf Jahre alten Sohn Heinrich Sittenzeugnisse aus[4], und am 16. Februar 1939 reiste die Familie nach Wien, wo sie unter der Adresse Sechsschimmelgasse 14/21 gemeldet war. Hier handelte es sich ohne Zweifel um eine Sammeladresse, also um ein Massenquartier.

Hugo Gold[5] gibt an, dass Philipp Fränkel vergeblich versucht habe, über Frankreich zu flüchten. Dafür fand sich bis jetzt kein Beleg. Der Umstand aber, dass die Familie nicht gemeinsam nach Polen deportiert wurde, könnte eine Folge dieses Fluchtversuchs sein. Jedenfalls deutet alles darauf hin, dass sich die Eltern vor dem 15. Februar 1941 trennten. An diesem Tag nämlich wurden Mirjam Fränkel und ihr Sohn Heinrich mit dem ersten von zwei Transporten österreichischer Juden nach Oppeln (Opole) gebracht. Von den insgesamt 2.003 Juden, die man im Februar 1941 nach Oppeln deportierte, sind 28 Überlebende bekannt. Mirjam und Heinrich Fränkel gehören nicht dazu. Am 28. Oktober 1941 brachte man Dr. Philipp Fränkel nach Litzmannstadt (Lódź).[6] Seither fehlt von ihm jede Spur.


[1] Archiv der Hauptschule Zwettl, Volksschule, Katalog 1933/34.

[2] Stadtarchiv Zwettl (StAZ), Karton 99, Reg.Nr. 560/1924; bzw. Meldebuch 1924 und 1926. Meldeauskunft Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA) vom 25. August 1897 an den Verfasser.

[3] Landesarchiv (NÖLA), RStH ND, IVd-8, Vermögensanmeldung von Dr. Philipp Fränkel, Zwettl.

[4] StAZ, Einreichungsprotokolle, Sign. 3/127, Nr. 268.

[5] Gold, Geschichte, S. 103.

[6] Mitteilung der IKG Wien vom 21. August 1987 und 26. Juli 1994 an den Verfasser; Meldeauskunft des WStLA vom 25. August 1987 an den Verfasser.

Im Rahmen der im Herbst 1941 auf Anordnung des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) durchgeführten Massendeportationen nach Lódź wurden insgesamt 20.000 Jüdinnen und Juden aus dem „Altreich“, dem Gebiet Österreichs, dem „Protektorat Böhmen und Mähren“ und Luxemburg sowie 5.000 österreichische Sinti und Roma deportiert. Zwischen dem 15. Oktober und 2. November 1941 trafen rund 5.000 jüdische Opfer aus Wien in Lódź ein. Über 78 Prozent von ihnen waren älter als 45 Jahre, über 41 Prozent älter als 60 und fast neun Prozent hatten bereits das 70. Lebensjahr überschritten; weit über die Hälfte waren Frauen. Innerhalb weniger Wochen stieg die Sterblichkeit der Wiener Juden stark an. Bis zum Mai 1942 starben 771 an Hunger, Krankheit und Erschöpfung.

Schon aufgrund ihres Alters wurden viele der Wiener Juden als „arbeitsunfähig“ eingestuft und ab Mai 1942 nach Chelmno/Kulmhof transportiert, wo sie in mobilen Tötungseinrichtungen, den „Gaswagen“, ermordet wurden. Bis zum Beginn des Sommers 1942 tötete die SS ungefähr die Hälfte aller Personen, die im Oktober/November 1941 aus Deutschland, Österreich, Böhmen und Mähren nach Lódź deportiert worden waren. Von den rund 5.000 Wiener Juden waren im Herbst 1942 nur noch 615 am Leben. Als das Ghetto in Lódź im August 1944 aufgelöst und alle Ghettoinsassen nach Auschwitz deportiert wurden, lebten noch ca. 300 bis 400 der Wiener Juden. Die Selektion in Auschwitz und die Zwangsarbeit in den verschiedenen Konzentrationslagern forderten weitere Opfer. Nur 34 der nach Lódź deportierten Wiener Juden haben die Befreiung erlebt. (Dokumentationsarchiv des österr. Widerstandes, Wien http://www.doew.at/ausstellung ).


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