Regine, Heinrich, Karl und Irma Rosenberg

Seit 1897 wohnte in Hörmanns (damals Gemeinde Großglobnitz) der 1866 in der Gegend von Pilsen (Plzeň) geborene Heinrich Rosenberg. Er war mosaischer Religion, übte den Beruf eines Landesproduktenhändlers aus und erhielt am 28. September 1913 das Heimatrecht in Hörmanns. 1897 hatte er in Wien die am 8. Jänner 1868 in Althart (Staré Hobzí) bei Zlabings (Slavonice), Mähren geborene Regine Gutfreund[1] geheiratet, die sich ebenfalls zur mosaischen Religion bekannte.[2]

Heinrich und Regine Rosenberg betrieben im Haus von Anton und Agnes Hofbauer (Hörmanns Nr. 7) ihren Landesproduktenhandel und eine Greißlerei. Hier wurde am 13. Juni 1898 Sohn Karl geboren. Er übernahm am 1. Juli 1937 den elterlichen Betrieb und heiratete im selben Jahr Irma Gottlieb. Diese war am 17. November 1910 in Wörgl (Tirol) als Tochter des Rudolf Gottlieb und seiner Gattin Elisabeth, einer geborenen Sucharipa, zur Welt gekommen.

Karl und Irma Rosenberg

Nachdem 1896 die Eisenbahnlinie von Schwarzenau nach Zwettl errichtet worden war, erbauten Anton und Agnes Hofbauer im Bereich der Bahnstation Hörmanns ein Haus (Hörmanns Nr. 24), in dem sie einen Gastgewerbebetrieb führen wollten. Da die Geschäfte aber nicht ihren Erwartungen entsprachen, verkauften sie 1925 das Anwesen an Karl Rosenberg, der nun hier, unmittelbar an der Eisenbahnlinie, seinen Landesproduktenhandel etablierte.

Josef Poinstingl aus Hörmanns, Geburtsjahrgang 1927, erzählte, dass sein Vater mit Karl Rosenberg befreundet gewesen war. Er erinnerte sich auch, dass die Rosenbergs im Haus Nr. 24 einen sehr gut gehenden Landesproduktenhandel, eine Gemischtwarenhandlung und daneben auch eine kleine Landwirtschaft betrieben. Da die Raiffeisen Lagerhaus-Genossenschaften damals bei weitem noch nicht die Bedeutung wie heute hatten, waren die meisten Bauern der Umgebung mit ihm in Geschäftsverbindung. Er gewährte auch großzügig Kredite und viele Landwirte standen hoch in seiner Schuld.[3] Wegen seiner kundenfreundlichen Geschäftspolitik war er sehr beliebt. Irma Rosenberg dürfte eine beachtliche Mitgift in die Ehe eingebracht haben, denn bald nach der Hochzeit wurde das Haus umgebaut.

Wie Josef Poinstingl zu erzählen wusste, soll sich Karl Rosenberg nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich geäußert haben, dass er vom neuen Regime nichts befürchte, wenn er sich nur ruhig verhalte, sich nichts zuschulden kommen lasse und nicht auffalle. Er wollte sein Handelsgeschäft stilllegen und nur von der Landwirtschaft leben.

Bald nach dem März 1938 jedoch beschlagnahmte die SA Führung Schwarzenau Karl Rosenbergs Motorrad, Marke Puch, 250 cm³ und brachte es weg.[4] Gerüchteweise stand es in der Folge bei der SA Standarte 73 in Waidhofen/Thaya in Verwendung.[5] Und im November 1938 wurden die Rosenbergs Opfer der Ausschreitungen in der „Reichskristallnacht“. Die SS aus Gmünd überfiel in der Nacht vom 9. auf den 10. November das Anwesen der Familie Rosenberg in Hörmanns, plünderte, raubte 865 RM Bargeld und zwang die Familie ihr Haus sofort zu verlassen.[6] Die Rosenbergs flüchteten noch in der Nacht vom 10. November nach Wien, wo sie im 5. Bezirk bei Frau Braunfeld unter der Adresse Margaretenstraße 82, II. Stiege, 4. Stock, Tür 25 Quartier fanden.

In der für Juden vorgeschriebenen Vermögensanmeldung vom 27. April 1938 hatte Karl Rosenberg das gesamte Betriebsvermögen mit rund 64.800 RM angegeben, darin inbegriffen ca. 5.300 RM Forderungen an seine ehemaligen Kunden sowie etwa 8.700 RM aus zwei Erbschaften, welche aber noch nicht eingeantwortet worden waren. Das Warenlager und den Viehbestand bewertete Karl Rosenberg mit rund 8.700 bzw. 1.300 RM. Den landwirtschaftlichen Betrieb schätzte er auf 4.300 und das Einfamilienhaus auf 5.000 RM. Diese beiden Beträge wurden bei der korrigierten Vermögensanmeldung vom November 1938 auf 8.000 bzw. 7.500 RM erhöht. Die Forderungen an seine ehemaligen Kunden erwiesen sich nun, im November 1938, als uneinbringlich. Sie waren hypothekarisch nicht abgesichert. Karl Rosenberg hatte Hörmanns verlassen müssen und daher keine Möglichkeit, diese Beträge einzufordern, und das Inkassobüro, dem er die Fälle in Treuhandverwaltung übergeben wollte, lehnte diesen Auftrag ab.[7]

Josef Poinstingl erzählte, dass gegen Jahresende 1938 oder bereits 1939 - sein Vater war damals Bürgermeister von Oberndorf, wozu auch Hörmanns gehörte - ein Auto im Hof seines Elternhauses vorgefahren sei, dem Karl Rosenberg in Begleitung mehrerer Männer in Ledermänteln entstieg, welche mit seinem Vater längere Zeit verhandelten. Dann seien sie zu Rosenbergs Haus gefahren. Am 1. Dezember 1938 bevollmächtigte Karl Rosenberg den Zwettler Rechtsanwalt Dr. Franz Beydi mit dem Verkauf seines Hauses Nr. 24 in Hörmanns samt etwas mehr als 4 ha Grund. Außerdem erteilte Rosenberg auch eine Vollmacht zum Verkauf des Inventars, wie einer Meldung des Kreiswirtschaftsberaters der NSDAP Rudolf Ranninger vom 10. Dezember 1938 zu entnehmen ist.[8] Am 10. März 1939 erwarben Franz und Maria Thor den Rosenberg’schen Besitz um 15.000 RM. Davon kassierte das Ministerium für Landwirtschaft wegen des Mehrwertes nach 1938 1.500 RM. Die restlichen 13.500 RM kamen auf ein Sperrkonto, zu dem die Verkäufer nur mit Zustimmung der Vermögensverkehrsstelle Zugriff hatten.[9] Franz und Maria Thor waren Aussiedler. Wegen der Errichtung des Truppenübungsplatzes mussten sie ihr Haus Oberndorf 35 verlassen. Die Ablösesumme, welche sie dafür von der Deutschen Ansiedlungsgesellschaft erhielten, wurde in den Kauf des Rosenberg’schen Besitzes investiert. Franz Thor hatte sich in Oberndorf als Parteigänger der NSDAP hervorgetan. Das Rückstellungsverfahren, das nach dem Krieg wegen dieses Kaufes durchgeführt wurde, dauerte bis 1962.[10]

Karl und Irma Rosenberg hatten sich zur Emigration entschlossen. Am 23. Jänner 1939 erhielten sie einen Reichsfluchtsteuerbescheid. Das Finanzamt Innere Stadt-Ost, Reichsfluchtsteuerstelle, bewertete darinnen ihr gemeinsames Vermögen mit der runden Summe von 160.000 RM, woraus sich Reichsfluchtsteuer in der Höhe von 40.000 RM ergab, die für 10. Februar 1939 fällig gestellt wurde. Dazu kamen nach der neuerlichen Vermögensanmeldung, die mit Stichtag 12. November zu berechnen war, noch die Sühneabgabe in der Höhe von 18.200 RM. Karl Rosenberg dürfte sich im Frühjahr 1939 bemüht haben, bei der Reichsfluchtsteuerstelle eine Korrektur seiner Vermögenswerte zu erreichen, die nach seiner Aufstellung nun, nach Verkauf der Liegenschaften, rund 89.000 RM betrugen. Ob ihm das gelang, ist aus den vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich und wohl auch unwahrscheinlich.

Karl und Irma Rosenberg schafften letztlich alle bürokratischen und finanziellen Hürden, die einer Ausreise im Weg standen. Am 25. November 1939 verließen sie Wien mit Reiseziel Palästina.[11] Damals versuchten mehr als 1.200 Juden mit mehreren Schiffen von Bratislava aus auf dem Donauweg aus dem Deutschen Reich nach Palästina zu flüchten. Doch diese Flucht endete wegen organisatorischer Schwierigkeiten 1939/40 in dem serbischen Donauhafen Kladovo, wo die Flüchtenden nach dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Jugoslawien in die Hände der Nationalsozialisten fielen und im Juli 1941 in das Internierungslager Sabac verlegt wurden. Nur ca. 200 Jugendliche konnten entkommen; die Männer wurden erschossen, die Frauen in Speziallastwagen vergast.[12]

Nach Kriegsende bemühten sich Ernst und Paul Gutfreund, zwei Vettern von Karl Rosenberg, die mittlerweile in New York lebten, um Aufklärung des Schicksals ihrer Verwandten. Sie konnten in Erfahrung bringen, dass beide in das Lager Sabac deportiert worden waren. Karl Rosenberg dürfte am 12. Oktober 1941 in Zasavica bei Sabac ermordet worden sein, Irma in Sajmiste bei Belgrad. 1947 wurden Karl und Irma Rosenberg über Betreiben der Brüder Gutfreund vom Landesgericht für Zivilrechtssachen in Wien für tot erklärt.[13]

Heinrich und Regine Rosenberg

Heinrich und Regine Rosenberg verfügten laut ihrer Vermögensanmeldung vom 27. April 1938 über etwas Grundbesitz. Gemäß Übergabevertrag vom 1. Juli 1937 hatten sie Anspruch auf 10 % der alten Kundenforderungen ihres Sohnes Karl, rund 6.500 RM Außenstände aus Krediten, welche sie drei Personen in Großhaslau, Germanns und Wien gewährt hatten sowie Spareinlagen in der Höhe von 10.340 RM.[14] Auch die beiden alten Leute wurden beim Überfall der Gmünder SS in der Reichspogromnacht aus Hörmanns vertrieben und gingen nach Wien. Am 23. Februar 1939 waren sie in einem jüdischen Altersheim in Wien IX, Seegasse 9 gemeldet, wo Heinrich am 8. Jänner 1942 verstarb. Am 28. Juni 1942 brachte man die 74jährige (oder 76jährige ?) Witwe Regine in das Konzentrationslager Theresienstadt. Dort verliert sich ihre Spur. 1947 wurde sie für tot erklärt.[15]


[1] Möglicherweise wurde Regine Rosenberg aber am 6. Jänner 1866 in Altstadt (Starý Město) in Böhmen geboren (Quelle: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Opferdatenbanken, Shoah-Opfer, http://de.doew.braintrust.at/db_shoah_31842.html).

[2] Stadtgemeinde Zwettl, Meldeamt, Heimatrolle Rosenberg, Großglobnitz.

[3] Tatsächlich musste Rosenberg im April 1938 im Zuge der Vermögensanmeldung von Juden rund 5.300 RM als Forderungen an Kunden aus der Umgebung angeben. Dies waren Außenstände, die er im November 1938 als uneinbringlich einstufte. Eine Reichsmark des Jahres 1938 entspricht kaufkraftmäßig € 4,69 im April 2009 (= freundliche Mitteilung. von Herrn Walter Kern, Statistik Austria, vom 19. Mai 2009).

[4] Niederösterreichisches Landesarchiv (NÖLA), Archiv der BH Zwettl, Gr. X/137-1938, Stammzahl 307; Karton 213, Beschlagnahme von jüdischen Fahrzeugen.

[5] NÖLA, BH Zwettl, Gr. XI, 1939, Stammzahl 480/2, Bericht der BH Zwettl vom 18. August 1938.

[6] NÖLA, Landeshauptmannschaft Niederdonau, Landesamt II/6, Stammzahl 578/24-1939, Karton 1262, Bericht des Kreiswirtschaftsberaters Ing. Rudolf Ranninger an die Gauwirtschaftsberatung vom 10. Dezember 1938.

[7] NÖLA, RStH ND, IVd-8, Vermögensanmeldung von Karl und Irma Rosenberg, Hörmanns.

[8] NÖLA, Landeshauptmannschaft Niederdonau, Landesamt II/6, Stammzahl 578/24-1939, Karton 1262, Bericht des Kreiswirtschaftsberaters Ing. Rudolf Ranninger an die Gauwirtschaftsberatung vom 10. Dezember 1938.

[9] Bezirksgericht (BG) Zwettl, Grundbuch (GB), Urkunde Zl. 685/39.

[10] NÖLA, Vermögens- und Rückstellungsakten (NÖL Reg. L. A. IX/5), Karl Rosenberg, Hörmanns 24, Akt IX/5, 231.

[11] Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), Meldeauskunft vom 21. März 1997 an den Verfasser.

[12] Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW), http://de.doew.braintrust.at/index.php?b=217&hl=sabac.

[13] Ebenda.

[14] NÖLA, RStH ND, IVd-8, Vermögensanmeldung von Regine Rosenberg, Hörmanns.

[15] WStLA, freundliche Mitteilung vom 21. März 1997 an den Verfasser.


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